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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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der jüngeren Techniker ging und ihm zeigte, wie er die Organe fotografieren musste. Erneut spürte Niels die Ungeduld in sich aufkeimen. Sommersted wartete auf ihn im Königlichen Theater. Aber Obduktionen waren nichts für Ungeduldige, das wusste er. Sie konnten viele Stunden dauern, in Sonderfällen sogar Tage. Alles musste begutachtet und sämt liche inneren Organe mussten untersucht werden. Es galt, Ge webeproben zu entnehmen und bakteriologische, toxikologische und biochemische Tests durchzuführen. Blutproben mussten direkt aus der Schlagader im Oberschenkel genommen werden, und wenn das Ganze überstanden war, mussten die Organe wie der zurück in den Körper, der zuletzt wieder zugenäht wurde. Niels hatte Rantzau einmal das Geheimnis entlockt, dass die Organe dabei nicht immer am richtigen Ort waren. Das sei fast unmöglich, hatte er ihm erklärt. Aber über so etwas redete man natürlich nicht offen – das würde nur zu Irritationen führen, und den Leuten, die in der Kirche von ihren Lieben Abschied nahmen, würde es sicher nicht gefallen, dass die Lungen sich ans Becken drückten, während Leber und Herz den Platz getauscht hatten.
    »Das hier musst du dir ansehen«, sagte Theodor und zog Niels zu dem Tisch, auf dem Blut- und Gewebeproben in klinischen Behältern gesammelt waren. Der Rechtsmediziner nahm den ers ten davon. Ein trübes Material. Leicht gelblich.
    »Davon haben wir beinahe einen halben Liter gefunden.«
    »Was ist das?«
    »Salzwasser. Ganz oben in ihren Nebenhöhlen und in ihrer Lunge.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Natürlich! Die chemische Analyse hat vielleicht vier Sekunden gedauert. Das ist das ABC der Rechtsmedizin. Männer bringen ihre Frauen um und werfen sie ins Meer, damit es wie ein Tod durch Ertrinken aussieht. Aber …«
    »Aber?«
    »Aber es sammelt sich kein Wasser in Nebenhöhle und Lunge, wenn sie vorher schon tot sind, das Opfer nimmt nämlich kein Wasser auf, wenn es nicht atmet.«
    »Und was bedeutet das in diesem Fall?«
    Rantzau atmete tief durch. »Die vorläufige Schlussfolgerung, und ich zweifle nicht daran, dass wir an dieser Meinung festhalten, lautet, dass Dicte van Hauen an Sauerstoffmangel infolge eines zu langen Aufenthalts unter Wasser gestorben ist, bevor sie sich bei dem Sprung von der Brücke den Schädel gebrochen hat.«
    »Ertrunken?« Niels’ Stimme war kaum zu hören.
    »So nennt man das in der Regel, ja.«

20.
    Vesterbro, 12.25 Uhr
    Zehen und Fingerspitzen zitterten. Das war die Müdigkeit. Irgendwie war es so, als jagten die Wachmacher in seinem Blut die Müdigkeit in die entferntesten Punkte seines Körpers. Er parkte absichtlich ein ganzes Stück von ihrer Wohnung entfernt. Die Straßen waren voller Leben. Männer mit strammen Schlipsen, die eilig zum nächsten Termin hasteten. Müttergruppen mit ökologischem Kaffee in den Halterungen ihrer Kinderwagen. Er schwitzte.
    Er sah sich um, bevor er Handschuhe anzog und gegen die Tür drückte. Natürlich war sie abgeschlossen. Aber es eilte, er musste diese Spritze holen. Eigentlich wunderte es ihn, dass die Polizei noch nicht hier war. Es war sicher nur noch eine Frage der Zeit, vielleicht von Minuten, bis sie kamen. Vielleicht sollte er die Spritze einfach liegen lassen und das Weite suchen. Schließlich konnte er hoffen, dass sie sie nicht fanden oder für das Relikt eines Drogensüchtigen hielten. Aber nein, die Polizei dachte nicht so. Wie methodisch und gründlich sie vorgingen, wusste er nur zu gut. Er klingelte.
    »Ja?«, ertönte die Stimme einer alten Frau. »Wer ist da?«
    »Ich bin zurzeit bei Henrik oben in der vierten Etage zu Besuch, aber ich habe meinen Schlüssel vergessen.«
    »Wer sind Sie?«
    »Mein Name ist Jakob. Ich bin ein Freund von Henrik. Könnten Sie mich reinlassen?«
    Sie legte auf. Er wartete ein paar Sekunden und wollte schon versuchen, bei jemand anderem zu klingeln, als er plötzlich ein Summen hörte. Er drückte die Tür auf und ging hinein. Das Treppenhaus wirkte jetzt ganz anders, als er es in Erinnerung hatte. Letzte Nacht war es die reinste Ragnarök gewesen. Das perfekte Abbild seines chaotischen Inneren, Kulisse der Sekunden, in denen sein ganzes Leben auf Messers Schneide balanciert hatte. Jetzt war es einfach nur ein Treppenhaus mit weißem Geländer, hell erleuchtet von der Sonne.
    Auf dem Boden vor ihrer Tür war nichts zu erkennen. Keine Spuren eines Kampfes, keine Spritze. Vielleicht hatte jemand sie gefunden und weggeworfen? Vielleicht dachten sie

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