Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
Alkohol roch. »Das ist eine alte Tradition. Weihnachtsfeier an Pfingsten. Da ist einfach mehr Platz im Kalender.«
Das mit der Unordnung war – gelinde gesagt – eine Untertrei bung. Ohne den Computer und die Regale mit den Ordnern hätte das Büro auch als Wirtshaus durchgehen können. Auf den Tischen standen halb volle Wein- und Bierflaschen und überfüllte Aschenbecher. Es stank nach Rauch.
»Riecht es hier?« Er trat ans Fenster und öffnete es. »Setz dich doch«, sagte er und zeigte auf ein Sofa, auf dem ein ausgerollter Schlafsack lag.
Hannah schob ihn zur Seite und setzte sich. Sie beobachtete ihn, während er die Flaschen vom Tisch zu räumen begann.
»Wie ich gehört habe, bist du wieder am Niels-Bohr-Institut?«
Sie zuckte lächelnd mit den Schultern.
Er nahm ihr gegenüber Platz. Sein Gesicht ließ sie an Knud Rasmussen denken. Die Haut eines Naturmenschen, die Augen eines Wissenschaftlers.
»Man sollte mal eine Zusammenarbeit anstreben«, sagte sie, »zwischen deinem und meinem Fachgebiet.«
» DNA und Sterne?« Der Gedanke ließ ihn lächeln. »Bist du deshalb gekommen?«
»Ich war im Gebäude«, sagte sie und schaute aus dem Fenster. Kein Gerüst. Fassade .
»Du denkst an die Frage: Wo kommen wir her, und wo gehen wir hin? Das Universum und der Mensch?«
»Genau«, sagte sie und wurde sich bewusst, dass ihr eigentliches Anliegen nach dieser kleinen Eingangslüge nicht unbedingt leichter vorzubringen war.
»Stellst du dir eine konkrete wissenschaftliche Zusammen arbeit vor? Oder eher so was Kulturelles?«
»Beides vielleicht. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin?«, sagte Hannah.
Eskild warf Hannah einen besorgten Blick zu, während er auf ihr Spiel einging und über den Homo sapiens sprach: »Inzwischen können wir das Erbmaterial ja viel besser aufdecken und damit die Frage beantworten, wie die Menschen sich entwickelt haben. Sind wir alle die gleiche Art, oder sind wir verschiedener, als wir gedacht haben? Nicht zuletzt die Frage nach der Verbreitung aus dem zentralen Afrika muss immer wieder neu thematisiert werden. Wann waren wir wo? Wir haben uns sexuell ja nie zurückgehalten. Schon der Homo sapiens hat es mit den Neandertalern getrieben.«
Hannah sagte nichts.
»Bist du dir im Klaren darüber, dass es in Nordamerika vermutlich weiße Menschen gab, bevor die Indianer kamen? Aber wer redet schon davon? Sicher nicht die Nachkommen der Indianer, zu deren Selbstverständnis es ja gehört, dass man ihnen ihr Land geraubt hat.«
»Klingt nach einem sensiblen Thema.«
»Ich bin ja nicht Wissenschaftler geworden, um Freunde zu finden oder vor politischer Korrektheit zu strotzen.«
Es ging Hannah auf, dass es in diesem Gespräch keinen geeigneten Zeitpunkt geben würde, um ihre Frage zu stellen.
»Ich bin eigentlich wegen etwas ganz anderem gekommen«, sagte sie.
»Das dachte ich mir schon.«
Sie räusperte sich. Jetzt sollte der Staatsanwalt seinen Zeugen aufrufen. Einen seriösen Zeugen. Einen Experten für Vererbung, DNA und genetisch bedingte Krankheiten. »Eine Freundin von mir will abtreiben, weil sie Angst hat, ein Kind in die Welt zu setzen. In ihrer Familie gibt es Fälle von Geisteskrankheit.«
Eskild nickte nur. Hannah fuhr fort:
»Sie hat Angst davor, dass das Kind die gleiche Krankheit haben könnte.«
»Wovon reden wir? Schizophrenie?«
»Genau. Sie glaubt jedenfalls, dass sich das so verhält. Ist ihre Furcht begründet?«
»Erbliche Faktoren haben großen Einfluss auf bipolare Erkrankungen. Das ist bekannt. Schon lange. Früher hat man mal nach ›Schizokokken‹ gesucht, einem speziellen Bakterium für Schizophrenie. Heute wissen wir, dass da viele Faktoren zusammenspielen. Unter anderem geht es um die Fähigkeit des Hirns, wichtige Signalstoffe zu regulieren. Dopamin, Noradrenalin, Serotonin. In erster Linie aber Dopamin.«
»Und woher stammen diese erblichen Faktoren?«
»Darüber streitet man sich zurzeit. Unter anderem ist man der Ansicht, dass die Gene COMT und NRG 1 die Dopaminfunktion im Hirn beeinflussen und damit die Psyche eines Menschen.«
»Wie sieht es mit dem statistischen Risiko aus?«
»Ich habe nicht alle Zahlen im Kopf, aber soweit ich weiß, liegt das Risiko, dass eine gesunde Frau ein schizophrenes Kind gebärt, bei 0,9 Prozent und bei schizophrenen Frauen bei 20 Prozent.«
»Also eine von fünf. Bei Zwillingen bedeutet das dann ein Risiko von 40 Prozent.«
»Oder eine doppelt so hohe Chance, dass mindestens eines der Kinder ohne
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