Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
war leer. Dann öffnete er der Reihe nach die Pillengläser. War noch etwas anderes darin als nur Pillen? Eine Nachricht vielleicht?
»Niels, Sie müssen jetzt wirklich kommen.«
Ida war zurück. Zum ersten Mal hörte er so etwas wie Wut in ihrer Stimme. Es stand ihr.
»Ich komme.«
Niels ging zur Tür. Stellte sich mit dem Rücken zu ihr und warf einen letzten Blick in den Raum.
Letzte Chance . Was fehlte?
»Ich warte hier draußen.«
Was war entfernt worden?
Der Spiegel. Er sah nichts, ging aber trotzdem ein paar Schritte vor. Setzte sich auf einen Stuhl und musterte sich. Hier hatte sie jeden Tag gesessen und ihr Gesicht begutachtet, dachte er.
Ich kriege dich .
Eine dünne Schicht Staub bedeckte das Glas. Staub . Aber nicht überall. Ein kleiner Bereich war frei von Staub. Unten in der Ecke. Ein Viereck.
Er stand auf.
»Frederik hat gerade angerufen. Sie warten noch immer«, sagte sie draußen vom Flur. Nervös. Alles in allem betrachtet, hatte sie mehr Respekt vor dem Ballettmeister als vor der Polizei.
Niels antwortete nicht. Er sah in den Spiegel. Auf den feinen Staub, der die gesamte Glasfläche bedeckte, nur nicht dieses kleine Rechteck unten in der Ecke.
»Können Sie mich hören? Sie warten alle unten …«
Niels zeichnete mit dem Finger die Umrisse des Gegenstandes ab, der von dem Spiegel entfernt worden war. Vier Ecken. Dann öffnete er einen silbernen Metallbehälter, der auf dem Tisch stand. Er war schön und glänzte matt wie der Mond hinter zarten Wolken. Puder. Weißes Puder. Hier saß Dicte also, bevor der Vorhang sich öffnete, und schminkte sich mit den Farben des Todes. Allein durch das Öffnen der Puderdose waren einige Partikel aufgewirbelt worden. Niels blieb still sitzen und beobachtete, wie der feine Staub sich legte. Auf seine Hand. Auf den Tisch. Auf den Spiegel. Das Viereck, das bis jetzt frei von Staub gewesen war, wurde nun auch angegriffen. Die mikroskopisch kleinen Krümel hefteten sich an die Oberfläche des Spiegels. Was auch immer in dieser Ecke gehangen hatte, es konnte vor Kurzem erst entfernt worden sein. Aber was war es?
***
»Können wir das nicht hinterher machen?« Ida sah ihn flehend an, als sie über den Flur liefen. »Sie rufen fortwährend von unten an.«
»Kommen wir auf dem Weg nicht ohnehin an der PR -Abteilung vorbei?«
»Wenn Sie mit Kresten sprechen wollen, muss ich Sie vorwarnen. Der ist wahnsinnig gestresst.«
»Es dauert nur einen Augenblick«, sagte Niels.
»Nein, das geht wirklich nicht. Frederik wird toben.«
Niels sah ihr an, wie sehr sie litt. Sie hatte Angst. War es gewohnt, Tag für Tag angeschrien zu werden, jeden Tag aufs Neue zu hören, dass das Königliche Theater die Spitze der Pyramide war, dass man höher nicht kommen konnte und deshalb nur eine Chance erhielt.
Niels blieb stehen. Ida lief noch ein paar Schritte weiter, bis sie bemerkte, dass sie ihn verloren hatte:
»Kommen Sie!«
»Ida? Stopp!«
»Nein, was …«
»Ich habe ›Stopp‹ gesagt.«
Widerstrebend ging sie zurück zu Niels. Langsam holte er seine Pistole heraus. Es war lange her, dass er sie aus seinem Halfter genommen hatte.
»Wissen Sie, was das ist?«
»Ein Schießeisen.«
Niels unterdrückte ein Lächeln. Es war an der Zeit, sich Respekt zu verschaffen, und nicht über ihre unschuldige, manche würden sagen, wirklichkeitsferne Auffassung der Welt da draußen zu lachen.
»Das ist eine Pistole. Und die ist geladen. Im Gegensatz zu denen, die Sie hier benutzen. Und wissen Sie was?«
»Nein.«
»Manchmal muss ich auf Menschen schießen, die vor mir weglaufen. Wenn ich ›Stopp‹ rufe, müssen die Menschen stehen bleiben. Sonst muss ich schießen, verstehen Sie, was ich sage?«
»Nein.« Sie sah ihn gestresst und etwas verärgert an.
»Das heißt, dass Sie tun müssen, was ich sage. Sonst gehe ich nach unten zu meinem Auto und hole meine Handschellen. Ich kann Sie abführen, mit aufs Präsidium nehmen und Sie in die kälteste Zelle sperren, die ich finde.« Einen Augenblick lang betrachtete sie Niels mit einem Lächeln. Verarscht der mich? Dann erstarrte sie und sah zu Boden.
»Entschuldigung.«
»Ab jetzt tun Sie, was ich sage. Und lassen diesen Frederik war ten. Den Ärger werde ich schon auf meine Kappe nehmen. Okay?«
»Okay.«
Er folgte ihr über den Flur, um eine Ecke herum und dann eine Treppe hinunter. Sie blieb vor einer Tür stehen und ging schließlich hinein. Ein Mann telefonierte. Auf seinem Namens schild stand Kresten. »Nein, wir
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