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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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vererbte Schizophrenie auf die Welt kommt. Es ist wie mit dem halb vollen Glas Bier. Es kommt darauf an, wie man das sieht.«
    »Das kannst du wirklich sagen. Aber 20 Prozent sind für mich ein gutes Argument für eine Abtreibung.«
    »Auch das kommt darauf an, wie man das sieht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Man sollte nicht ausschließen, dass auch ein depressives Leben lebenswert sein kann.«
    Sie fing seinen Blick ein. Vielleicht hatte er sie durchschaut. Dänemark war ein kleines Land, und die Welt der Forschung war noch kleiner. Es war nicht auszuschließen, dass er Johannes’ Schicksal kannte.
    »Und was ist mit der Seele?«, fragte sie plötzlich.
    »Der Seele? An die glaube ich, wenn ich Angst vor dem Sterben habe. Wenn ich keine Angst habe, glaube ich nicht daran.«
    Sie lächelte.
    »Ich ziehe Sachen vor, die ich mir mit meinem Mikroskop betrachten oder auf irgendeine Weise messen kann. Beweise. Man hat eine Theorie und versucht, einen Beweis dafür zu finden. Sonst …« Er zögerte.
    Hannah fuhr fort: »Sonst werden wir uns nur über den Umfang unserer Unwissenheit klar.«
    »Das hat schon Sokrates gesagt.«
    »Hat er das?«
    »Eigentlich war das, glaube ich, das Orakel von Delphi. Aber er war der klügste Mann auf Erden, weil er der Einzige war, der erkannte, wie wenig er verstand. Deshalb ziehe ich ›Unwissenheit‹ Worten wir ›Seele‹ oder ›Gott‹ vor.«
    »Ich auch.«
    »Vielleicht wäre das ein richtig gutes Thema für eine öffent liche Debatte«, sagte er und lächelte verschwörerisch. Das war ihre Chance, ein Ausweg aus dem Gespräch. Sie konnte in den anfänglichen Ton zurückfallen und noch einmal über die Idee einer Zusammenarbeit der beiden Institute sprechen, die es nie geben würde.
    »Ja, ein gutes Thema«, sagte sie.
    »Universum. Seele. Entstehung«, sagte er und fuhr fort, wobei er aufstand. »Wir sind viel, viel mehr als nur DNA . Und vielleicht ist es gerade das, was wir Seele nennen? Wie können Zugvögel ihren Bestimmungsort finden? Die Wissenschaft geht davon aus, dass diese Fähigkeit angeboren ist. Man weiß das durch das Kuckuckskind, das seine Eltern nie gesehen hat. Trotzdem findet es wie alle Kuckucke zur Elfenbeinküste. Wir haben Zugvögel mit Sendern ausgestattet. Und je mehr wir sie studieren, desto mehr wundern wir uns. Woher wissen sie das alles? Und wenn dieses Wissen angeboren ist, wie sollen wir es dann nennen? Ist das die Seele?«
    »Und wo sitzt die dann?«
    »Und woraus besteht sie?«, fragte er.
    »Du sollst nicht fragen, du sollst antworten.«
    Er hustete lachend. »Das ist nicht fair, erst recht nicht, wenn man berücksichtigt, was ich gestern getrunken habe.« Wieder dieses trockene Lachen.
    »Entschuldige.« Sie stand auf. »Und danke für deine Zeit.«
    ***
    Wessen Zeuge war das jetzt gewesen, der Anklage oder der Verteidigung? Oder hatte er für beide Seiten gesprochen? Ja, er war sowohl der Ankläger, der sagte, dass Wahnsinn vererbt werden konnte, als auch der Verteidiger, der das noch lange nicht als ein Argument für eine Abtreibung ansah. Aber was wusste er über Wahnsinn? Vielleicht war diese Krankheit ja so fürchterlich, dass es besser war, einen zu viel als einen zu wenig umzubringen? Sie selbst war die Henkerin. Es gab keinen Grund, dieser Tatsache nicht ins Auge zu schauen. Sie steckte die Hand in ihre Tasche. Spürte die Papiertüte mit der Pille. Die Tablette, mit der sie am Abend ihre Kinder umbringen sollte.

30.
    Das Königliche Theater, 13.48 Uhr
    Die Rache des Ballettmeisters, dachte Niels. Die Rache dafür, dass er ihn mit all seinen Tänzern hatte warten lassen und für einmal auf einen Menschen reduziert hatte, der auf einen anderen hören musste. Niels erkannte das an dem hochmütigen, unterdrückten Lächeln des Mannes, schon als er zur Tür hereinkam. Der Ballettmeister wusste, wie einschüchternd die große Bühne war. Der Vorhang war geöffnet. Niels sah direkt auf die leeren Stuhlreihen, das vergoldete Holz, den Orchestergraben. Das gesamte Ballettensemble hatte sich auf der anderen Seite der Bühne versammelt. Er bekam Augenkontakt mit dem Ballettmeister. Wieder dieser hochmütige Blick. Der Direktor stand ganz hinten, als wollte er durch seine Position andeuten, wie wenig er mit der ganzen Situation zu tun hatte. Niels ging die zwanzig Schritte über die Bühnenbretter auf sie zu. Sein Blick begegnete neugie rigen wie furchtsamen Augen. Kinder, Frauen, Männer, insgesamt warteten bestimmt hundert Leute auf der Bühne.

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