Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
haben keine Fotos aus ihrer Kindheit«, sagte er wütend. »Und hätten wir welche, würde ich Ihnen die nicht geben.« Der Mann beendete das Gespräch, schnaubte wie ein Stier und sah zu Ida. »Journalisten! Jetzt fahren sie die ganz großen Geschütze auf. Dictes Leben in Bildern – ganze Titelseiten. Und wie wird das Ganze dann aussehen? Das kleine, unschuldige Prinzesschen kommt ans große, böse König liche Theater, wird brutal ausgenutzt und verliert den Lebensmut. Mit anderen Worten: Wir waren es, die sie umgebracht haben.«
»Kresten.«
»Was ist, Ida?«
Ida nickte in Richtung Niels.
»Niels Bentzon, Kriminalpolizei.«
»Ja, natürlich, wir haben es etwas eilig«, sagte er schnell und ebenso wenig beeindruckt, wie es Ida gewesen war, bevor Niels ihr die Handschellen und einen 24-stündigen Aufenthalt in der Arrestzelle in Aussicht gestellt hatte, in der es nach Angst und Erbrochenem stank.
Niels setzte sich auf die Tischkante. Wartete, bis sich seine Augen an Krestens nervösen Blick gewöhnt hatten.
»Aber. Natürlich. Der Polizei müssen wir helfen«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun?«
Niels antwortete nicht gleich. Er ließ etwas Zeit verstreichen und warf einen Blick auf die anderen im Raum. Sie hatten ihre Telefonate beendet, und eine Frau war aufgestanden und hatte ihr MacBook geschlossen. Langsam wurde es still in der PR -Abteilung des Königlichen Theaters.
»Ich heiße Niels Bentzon. Ich komme von der Polizei Kopen hagen. In den nächsten Tagen, vielleicht Wochen, müssen Sie mit uns zusammenarbeiten. Es wird in Ihrem Leben nichts Wichtigeres geben, als das zu tun, worum ich Sie bitte. Ist das klar?«
Idas Telefon klingelte ständig.
Ein gequältes »Ja« kam von ganz hinten im Raum.
»Sie verfügen hier über einzigartiges Dokumentationsmaterial. Das werden wir brauchen. Als Erstes brauche ich ein Foto von Dicte van Hauens Garderobe.«
Vollkommene Stille.
»Sie dürfen jetzt gerne reden«, sagte Niels.
Kresten ergriff das Wort: »Ein Foto, auf dem auch Dicte ist?«
»Möglicherweise, am besten ein aktuelles Bild.«
»Die meisten unserer Pressefotos sind Fotos unten von der Bühne oder im Probenraum.«
»Können Sie das überprüfen?«
Kresten sah zu einem jungen Mann hinüber, der dicht am Ausgang stand. Ein Casper, dachte Niels. Jemand, der mit den Computern auf die Welt gekommen war und keinerlei Berührungsängste damit hatte.
»Kannst du dich gleich auf die Suche machen, Jan?«, fragte Kresten.
Jan ging an einen Computer und öffnete einen Ordner mit den Pressefotos des Balletts. Idas Telefon klingelte im Hinter grund. Er hörte sie flüstern. »Ja, wir sind unterwegs, zwei Se kunden.«
Immer neue Bilder von Dicte öffneten sich auf dem Bild schirm: in den Armen eines männlichen Tänzers, fast unnatürlich ein paar Zentimeter über seinen Händen schwebend, mit geschlossenen Augen in der Luft. Niels dachte an den Abend zuvor, an ihren ausgestreckten Körper, jede Sehne gespannt, ganz und gar entschlossen, dem Tod mit Würde und Eleganz zu begegnen. Mit Wohlwollen.
»Leider.«
»Sind Sie ganz sicher? Und was ist mit privaten Fotos?«
»Die habe ich nicht.«
»Können die anderen Tänzer Fotos gemacht haben?«
»Das weiß ich nicht. Fragen Sie sie«, sagte er und korrigierte sich dann ganz schnell selbst: »Ich kann sie für Sie fragen.«
»Vielleicht ist sonst jemand in ihrer Garderobe fotografiert worden?«, fragte Niels. »Ihre Freundinnen? Es muss doch Kollegen gegeben haben, mit denen sie enger befreundet war.«
»Versuchen Sie es bei Erika Scherling«, sagte Ida hinter ihnen.
Ein paar Mausklicks, dann war die hübsche, dunkelhaarige Frau auf der Bühne zu sehen. Zahlreiche große Rollen. Ein Bild, auf dem sie Arm in Arm mit dem Ballettmeister steht. Backstagebilder. Und endlich …
»Hier. Backstage. Das ist Dictes Garderobe. Können Sie das ge brauchen?«, fragte Jan. »Das ist vor einer Woche aufgenommen worden. Erika hatte an dem Tag Geburtstag. Wir hatten nicht vor, dieses Bild zu verwenden. Alle Tänzer rauchen, aber Zigaretten machen sich nicht gut auf Fotos.«
Niels sah sich das Bild an. Dicte saß mit einem Glas Wein in der Hand auf dem Bett. Erica stand mit einer Zigarette zwischen den Fingern am Fenster und sah nach draußen. Beide glänzten vor Schweiß, aber es war nicht das, was Niels auffiel. Es war der Spiegel im Hintergrund. Das, was am Rand steckte.
Eine Postkarte .
»Könnten Sie das vergrößern? Ich muss diese Postkarte
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