Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
fallen auf ihr Gesicht. Als wollten sie das Blut wegwaschen. Und die Stille in den Sekunden danach. Die Stille . Sie war das Schlimmste. Schlimmer noch als all das Blut. Als ihre Schreie. Denn die Stille wollte mir etwas sagen, wollte mir zeigen, wie leer von nun an alles sein würde.
52.
Das Königliche Theater, 22.55 Uhr
»Sind Sie okay?«
Schmerzen. Das Gefühl, als würde in seinem Gesicht etwas leben und herumlaufen. Ein Vierbeiner.
Niels tastete nach seinem Handy, suchte im Dunkeln. Das Geräusch der Tür, die geöffnet und wieder zugeworfen wurde, hallte noch immer in seinem Kopf wider. Die Schritte auf der Treppe. Seine Fingerspitzen stießen gegen etwas Hartes. Das Telefon. Er nahm es in die Hand und versuchte, es einzuschalten. Der Geschmack von Holz.
»Können Sie mich hören?«
Ein helles, leises Geräusch, aber laut genug, damit er es mitbekam. Er lag auf dem Holzboden hoch oben über der Bühne.
»Einer der Bühnentechniker hat Sie gefunden.«
Niels versuchte sich aufzurichten. Der Wachmann half ihm.
»Sind Sie gefallen?«
»Gefallen?«
Niels schüttelte den Kopf.
»Haben Sie gesehen, wohin er verschwunden ist?«
»Wer?« Niels versuchte, den Wachmann von dem anderen Mann zu unterscheiden, der ihn verwundert ansah.
»Na, der Tänzer?«
Sie hatten keine Ahnung, von wem er redete. Das sah Niels ihrem Blick an.
»Sie hatten Glück«, sagte der Bühnentechniker. »Es sind schon Leute gestorben, die hier oben gefallen sind. Nur einer hat überlebt, weil er besoffen war.«
»Helfen Sie mir hoch.«
»Vielleicht sollten wir Hilfe rufen?«
Niels schüttelte den Kopf und kämpfte sich allein auf die Beine. Die Bühne unter ihm lag jetzt im Dunkeln. Wie lange hatte er hier gelegen?
»Wie spät ist es?«
»Sie sind ja wirklich durch den Wind, Mann.«
»Antworten Sie auf meine Frage«, sagte Niels gereizt.
»Es ist kurz nach elf.«
Kurz nach elf, dann war er eine ganze Weile weg gewesen …
»Gibt es einen anderen Weg nach unten?«, fragte der Wachmann den anderen.
»Ich denke, ich kann laufen.«
»Sie sollten sich selbst mal sehen.«
»Wir können über den Saal gehen«, sagte der Techniker und ging vor.
Niels folgte ihm, der Wachmann ging hinter ihm.
»Hier oben hat man früher die Tauben platziert«, sagte der Techniker und öffnete die Tür zum Dachboden. Der geschwungene Boden, über den sie gingen, war die Oberseite der Deckenwölbung, an die man starrte, wenn man da unten in den roten Plüschsesseln saß.
»Schaffen Sie das?«
»Ja.«
Niels spürte die Hand des Wachmanns auf seinem Arm. Als hielte er einen Gefangenen. Der Techniker zeigte auf einen viereckigen Klotz, bei dessen Anblick Niels an die Kaaba in Mekka denken musste. »Hier kann man den Kronleuchter hochziehen. Früher waren da ja Kerzen drin«, sagte er mit einem Lächeln.
Sie gingen nach unten ins Foyer. Traten in das schwache Abend licht auf der Treppe.
»Ich muss noch mal in die Garderoben«, sagte Niels.
»Haben Sie für heute noch nicht genug?«
Niels sah ihn an. »Sie reden mit der Polizei.«
»Ist schon gut. Aber Sie sollten erst mal einen Blick in den Spiegel werfen, bevor ich Sie irgendwo hinbringe.«
***
Glaubte man dem Techniker, war diese Toilette sonst nur der Königin vorbehalten. Niels betrachtete sich im Spiegel und hatte das Gefühl, vor einem alten Freund zu stehen, den er nicht mehr wiedererkannte. Bekannt und doch fremd. Eine Platzwunde zog sich von seiner Stirn bis auf seinen Nasenrücken. Er untersuchte seine Nase, aber sie war nicht gebrochen. Auch die Zähne waren alle noch heil, nur seine Unterlippe hatte etwas abbekommen. Die Wange war geschwollen, aber auch seine Wangenknochen schienen in Ordnung zu sein, auch wenn sie höllisch schmerzten. Er hatte einen harten Schlag auf die Brust bekommen und einen seitlich an den Kopf. Vermutlich waren die anderen Verletzungen auf den Sturz zurückzuführen. Er wischte sich das Blut so gut es ging mit einem Papierhandtuch weg. Aber es begann gleich wieder zu bluten, die Wunde auf der Stirn schien richtig tief zu sein. Sein Gesicht war in ein Delta aus kleinen, blutigen Rinnsalen verwandelt worden, die sich ihren Weg durch die un sichtbaren Furchen seiner Haut suchten. Er versuchte es mit Was ser. Es brannte. Besonders die Stirn schmerzte. War er nach dem Schlag aufs Ohr mit der Stirn aufgeschlagen? Oder war das umgekehrt gewesen? Er presste sich nasses Papier auf die Wunde und folgte dem Wachmann nach unten zu den Garderoben.
»Sind Sie
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