Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
zueinanderpassten, die man aber trotzdem zusammenstecken konnte.
Auch der Täter hatte hier gestanden, sagte Niels zu sich selbst. Mit klitschnassen Kleidern. Und was jetzt? Nach unten? Da ris kierte er es, gesehen zu werden. Mehr als das. Dort musste er gesehen werden. Trotzdem, er musste in seine Garderobe gegangen sein und sich umgezogen haben. Und wenn er seine nassen Sachen nicht weggeschmissen hatte, waren sie noch da.
Niels öffnete die Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Hier begann ein neuerer Teil des Theaters, in dem es nicht nach Holz roch, dafür irgendwie abgestanden und staubig. Nach Beton und Linoleum. Am Ende des Flurs, vor dem Beginn des Verwaltungstrakts, drückte er eine Klinke. Er kam in einen Raum, dessen eine Wand ein durchgängiger Spiegel war, fast zwanzig Meter breit, vor dem eine Stange angebracht war. Auf der anderen Seite stand ein Konzertflügel. Er ging durch den Übungssaal, begleitet von einem anderen Mann im Spiegel. Im Gleichschritt, wenn auch etwas widerwillig, wie ein Soldat auf dem Weg zur Front. Niels senkte den Blick, um sich selbst nicht ansehen zu müssen. Er hörte die Näh maschinen, als er die Klinke der nächsten Tür drückte. Eine Frau aus der Hutwerkstatt blickte auf, als Niels an der Tür vorbeiging. Hier konnte der Mann ungesehen vorbeigekommen sein. Und in der nebenan liegenden Schneiderei blickten sie nicht einmal auf, als er in der Tür stand. Er musste sogar an den Rahmen klopfen.
»Wo sind die Garderoben?«
»Untendrunter«, sagte sie, ohne die Nadel zu entfernen, die im Mundwinkel zwischen ihren Lippen klemmte. Sie zeigte auf eine Treppe. Die anderen Schneiderinnen hatten nicht von ihrer Arbeit aufgeblickt. Sie waren voll konzentriert. Von denen würde niemand bemerken, wer hier vorbeikam. Niels hörte ganz leise die Musik von der Bühne, als er nach unten ging. Die nächste Tür hatte Milchglasscheiben und führte in ein Badezimmer. Er hatte die Garderoben und Umkleiden erreicht. Vor Dictes Tür lagen noch immer Blumen.
***
Vor einigen Türen standen Schuhe. Niels untersuchte sie. Die Schuhe des Mannes mussten noch nass sein. Oder wenigstens feucht. Aber er fand nichts. Vor einer Tür stand ein Paar Converse Größe 44. Niels nahm sie in die Hand. Waren sie feucht? Nicht sehr, eine Spur vielleicht? Er roch daran, aber der Geruch erinnerte nicht an Hafenwasser. Trotzdem steckte er den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und schaltete das Licht ein. Der Raum war beinahe identisch mit Dictes Garderobe. Das Bett, der Tisch, die Schränke, die Pinnwand, der übereifrige Spiegel, der Niels schon wieder eingefangen hatte. Direkt hinter der Tür standen ein Paar weiße Schuhe. In den Rillen der Sohle war Sand. Trockener Sand. Der konnte auch von der Baustelle draußen stammen. Wessen Garderobe war das? Sein Blick fiel auf einen hand schriftlichen Zettel für das Reinigungspersonal. »Denken Sie bitte daran, den Spiegel zu putzen«, gefolgt von zwei ungeduldigen Ausrufungszeichen. Darunter war das Gleiche noch einmal auf Englisch geschrieben worden.
Nächste Umkleide. Wieder Schränke. Er öffnete einen nach dem anderen und untersuchte sie gründlich. Keine Baseballcap. In einer Schublade lagen zwar Sonnenbrillen, aber Niels war sich nicht sicher, ob das die richtigen waren. Wieder fiel sein Blick auf den Spiegel. Oder besser gesagt: Der Blick des Mannes im Spiegel fing ihn ein. Taxierte ihn. Dem konnte man hier drinnen nicht entgehen. Überall Spiegel. »Du tappst im Dunkeln. Fahr nach Hause, Niels«, flüsterte er.
Schritte . Erst verband er das Geräusch mit etwas in seinen Gedanken. Vielleicht Hannahs nächtliches Herumwandern im Wohnzimmer. Oder das Geräusch seiner eigenen Schritte, wenn er seine Sachen packte, um sie zu verlassen. Weil sie ihn längst verlassen hatte und in sich selbst verschwunden war. Doch dann war er sich ganz sicher. Die Geräusche kamen vom Flur. Zwei Mädchen lachten. Niels öffnete die Tür und verließ die Garderobe. Irgendwo schloss sich eine Tür. Jemand war auf dem Weg. Er hörte die Stimmen der Mädchen. Vor Dictes Garderobe blieb Niels stehen. Auf dem Boden lagen Rosen und Lilien, noch in Knospen. Und Löwenzahn. Niels stellte sich vor, dass die von den kleinen Ballettmädchen stammten. Bestimmt hatten sie sie unten auf dem Hof gepflückt. Er ging weiter. Und blieb stehen. Dictes Garderobe . Warum nicht? Wäre das nicht das perfekte Versteck? Eine Tür, von der man ganz genau wusste, dass sie vorläufig nicht
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