Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
geöffnet werden würde.
50.
20.50 Uhr
Das Licht funktionierte nicht. Niels lauschte. Hielt die Luft an und überlegte, ob er die Tür wieder öffnen sollte, damit ein bisschen Licht in den Raum fiel. Aber die Mädchen standen noch immer draußen auf dem Flur und unterhielten sich. Es ging um die Generalprobe von Giselle . Um Lea. Nicht so gut wie Dicte, hörte Niels eine von ihnen flüstern. Er entschied sich für eine andere Lösung: sein Handy. Das schwache Displaylicht reichte vielleicht aus. Er nahm es aus seiner Hemdtasche und schaltete es ein. Das Licht war wirklich schwach. Als würde es gleich, wenn es aus dem Gerät kam, von der Dunkelheit übermannt. Irgendwo glitzerte etwas silbern. Konturen wurden sichtbar. Ein Tisch, der Rand des Bettes. Regale. Er untersuchte den Boden. Hatte der Mörder seine nasse Kleidung einfach fallen lassen? Draußen entfernten die Mädchen sich. Er hörte ihre Schritte. Und dann hörte er ihn. Hinter sich. Instinktiv hielt sich Niels die Hände schützend vor das Gesicht. Der Schlag traf ihn hart. Niels versuchte, seinen Arm zu packen und ihn herumzudrehen, aber er war geschmeidig, huschte weg und schlug erneut. Dieses Mal traf er Niels im Gesicht. Etwas brach. Ein Knochen? Es klang trocken. Wie Knäckebrot, dachte Niels, als er fiel, während der andere die Tür aufriss und verschwand. Im Licht, das durch den Türspalt fiel, versuchte Niels sich aufzurappeln. Womit hatte er geschlagen? Hatte er seine Waffe mitgenommen?
»Stopp!« Er wollte rufen, brachte aber nur ein heiseres Fauchen heraus. Wie ein wütender Schwan. »Komm schon, Niels.«
Die Worte brachten ihn auf die Beine und auf den Flur.
Über sich hörte er Schritte. Ja, gut, lauf nur nach oben. Dahin müssen wir. Je weiter, desto besser, dachte Niels, als er ihm nachsetzte. Dort oben sollte es zu Ende gehen. Der Mann, wer auch immer es war, sollte den gleichen Weg nehmen, den auch Dicte genommen hatte. In den Abgrund.
Niels hörte, wie der Mann versuchte, die Tür hinter sich zu schließen. Er wollte Niels auf der Treppe aussperren. Niels fasste auf die Klinke und trat zu. Ein Stück des Türrahmens splitterte, als die Tür aufsprang. Das Holz war morsch. Niels stürmte über den Flur. Folgte der Musik und kam direkt in einen Requisitenraum, von wo er gerade noch sehen konnte, wie der andere eine Tür aufriss, auf der »Alte Bühne« stand. Er war nur wenige Sekunden hinter ihm. Öffnete die Tür und wurde von dem vollen Klang des Orchesters empfangen. Vor ihm in der Kulisse standen vier Tänzer. Sie hatten ihm den Rücken zugedreht und ihre Blicke auf die Bühne gerichtet. War es einer von ihnen? Niels musterte ihre nackten Rücken. Alle vier atmeten ganz ruhig. Einer von ihnen drehte sich um und sah Niels verwundert an.
»Haben Sie gesehen, wer gerade durch diese Tür gekommen ist?«
Der Tänzer schüttelte den Kopf.
Es gab nur einen Weg, und der führte Niels weiter in die Kulis sen hinein. Hinter die Stellwände in den Abgrund des Theaters, wo die Kulissen an einer schwarzen Wand endeten. Niels sah nach oben. Auf beiden Seiten führten Stahltreppen im Zickzack bis unter das Dach. Und dort, auf halbem Weg nach oben, bekam er Augenkontakt mit ihm. Niels stieß mit dem Knie gegen das Metall, als er zwei Stufen auf einmal nehmen wollte. Es war zu dunkel, und die Tritte waren zu klein. Außerdem gab es zu viele Taue, und das Scheinwerferlicht blendete Niels immer wieder. Auf dem ersten Treppenabsatz stieß er gegen ein Bett. Verdammt, wer schlief denn hier oben? Der Beleuchter? Niels konnte ihn weiter oben hören. Auf dem genoppten Linoleum auf den Treppenabsätzen ließ es sich besser laufen. Niels erreichte die nächste Treppe. Hier waren die Stufen kaum noch einen halben Meter breit. Gebaut für kleinwüchsige Bühnentechniker aus einem anderen Jahrhundert. An der Galerie hingen die Scheinwerfer. Es musste Hunderte davon geben, auf jeden Fall heizten sie die Luft spürbar auf. Als er bald unter dem Dach angelangt war, verlor Niels ihn aus den Augen. Er sah nach unten. Übermannt von einem Augenblick des Schwindels. Auf der Bühne tief unter ihm stand Lea. Sie war allein. Nein. Jetzt kamen die anderen Tänzerinnen hinter ihr zum Vorschein. Sie zogen einen Nebelschleier hinter sich her. Die Musik war ganz leise und traurig. Das Licht der Scheinwerfer richtete sich auf die Bühne, und die schwarzen Wände rings um Niels machten es fast unmöglich, sich zu orientieren. Er musste hier irgendwo sein. Von hier
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