Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
wirklich okay?«, fragte der Mann.
»Ja, das war nur ein Schlag.«
***
In Dictes Umkleide funktionierte das Licht noch immer nicht.
»Können wir das irgendwie reparieren?«, fragte Niels.
»Jetzt? Dafür brauche ich einen Elektriker.«
»Wir müssen doch bloß eine Glühbirne wechseln.«
Er trat einen Moment auf der Stelle, dann parierte er und verschwand, etwas Unverständliches vor sich hin brummend. Niels setzte sich auf den Stuhl vor dem Spiegel, wo Dicte jeden Abend gesessen hatte, und betrachtete sich in dem bisschen Licht, das durch den Türspalt hereinfiel. Der Wachmann kam zurück.
»Fürs Erste müssen Sie sich mit der hier begnügen.« Der grelle Lichtkegel einer Taschenlampe blendete Niels. »Um eine Glühbirne zu holen, muss ich runter ins Lager.«
»Das ist schon in Ordnung, danke.« Niels nahm die Lampe entgegen, deren Licht wie ein Schwert durch das Dunkel schnitt. Sein Blick folgte dem Lichtschein, der sich langsam über die Wand bewegte. Über das Regal und den Boden. An den Fußleisten entlang und zu dem schmalen, weißen Gestell mit den Ballettschuhen. Den Bildern auf der Pinnwand. Es war ein vollkommen anderer Raum als der, den er im hellen Tageslicht untersucht hatte. Im Dunkeln war alles verändert. Das sporadische Licht ließ die Gegenstände neue Formen annehmen und groteske, verdrehte Schatten werfen.
Er hatte Niels getroffen . Womit? Etwas war gebrochen .
Niels richtete den Lichtstrahl auf den Boden, auf den Tisch und auf den Spiegel.
Bei dem Aufprall war etwas zerbrochen .
Auf den Rand der Tür.
Etwas Hartes . Oder … Plastik? Etwas, das er auf seiner Flucht mitgenommen hatte . Warum? Unter den Tisch.
Der Schrank. Das Geräusch zerbrechenden Plastiks . Ja . So hatte es geklungen . Es musste etwas sein, das man in die Hand nehmen konnte .
Niels stand auf. Da . Neben dem Stuhlbein. Eine Glasscheibe? Er hob sie auf. Ja, das war Glas, konkav. Geschliffene Ränder. Das Glas einer Uhr? Er hatte mit dem Handrücken geschlagen und mit der Uhr getroffen.
Der Wachmann kam hereingepoltert. Niels steckte das Uhren glas in die Tasche.
»So, jetzt haben Sie gleich Ihr Licht.«
»Vielen, vielen Dank«, sagte Niels. »Aber jetzt brauche ich es nicht mehr.«
53.
Islands Brygge, 23.56 Uhr
Das Urteil war gefällt.
Das spürte sie. Endgültig. Die Zweifel waren verschwunden. Die Argumente vorgelegt und von allen Seiten beleuchtet. Jetzt war der Weg gebahnt für das endgültige Urteil: die Todesstrafe.
Hannah weinte nicht. Aber sie war kurz davor. Es gibt keinen Grund für Tränen, das Urteil ist gefällt, ermahnte sie sich. Jetzt muss es ins Leben geführt werden – oder in den Tod. Sie blickte auf die Tablette auf dem Tisch. Saturn. Nein, nur eine Pille. Eine Zyanidkapsel. Der Tod. Sie beugte sich vor. Streckte die Hand aus. Nahm die Pille mit zwei Fingern und studierte sie. So viel Tod in so wenig Materie. Warum nicht zwei Pillen? Schließlich sollte sie zwei Menschen umbringen. Dann war sie plötzlich ganz ruhig und erinnerte sich an das, was sie erfahren hatte: Wenn Sie die genommen haben, ist die Abtreibung offiziell eingeleitet, dann gibt es kein Zurück mehr . Diese Aussage hatte etwas Beruhigendes. Die Pille tötete nicht nur ihre ungeborenen Kinder, sie entfernte auch jeglichen Zweifel, und gerade diese Zweifel waren es ja, die sie kaputtmachten, ihr Hirn kurzschlossen und sie als Mensch vernichteten. Endlich wären auch diese Zweifel tot. Ja, so musste sie diese Pille sehen. Als ein kleines Ding, das ihr nur Gutes wollte. Einen Helfer.
Sie schluckte die Tablette und spülte sie mit zwei Schlucken Wasser hinunter. Ein Schluck für jeden von beiden. Dann kamen die Tränen. Wie eine Schleuse, die geöffnet wurde, pressten sie sich aus ihr, aber auch sie fühlten sich gut an. Als müssten sie aus ihr raus. Die Albträume der letzten Tage hatten damit endlich ein Ende.
Die Haustür ging. Niels . Sie blieb wie erstarrt sitzen. Hoffte, dass er sie nicht bemerkte. Er roch nach Alkohol. Ein Geruch, der sie belastete. Ihr Vater hatte getrunken.
Dann hörte sie ihn im Bad. Das Wasser lief. Schlüssel wurden klirrend abgelegt, und dann war er weg. Verschwunden im Schlaf zimmer. Die Erleichterung wurde noch größer. Darüber, dass sie sich nicht getroffen hatten und dass auch er ihr offensichtlich aus dem Weg gegangen war. Das machte alles leichter. So war es. Denn natürlich wusste er, dass sie hier drinnen saß. Das tat sie jede Nacht.
Sie hörte ihn im Schlafzimmer. Seinen
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