Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
stimmte. Konnte er etwas wissen? Spüren, was geschehen würde? Nein, das war nicht möglich. Vielleicht irrte er sich auch nur. Vielleicht war es seine eigene Nervosität, die in Peters Überraschung Unruhe und Angst zu erkennen glaubte.
»Du siehst vollkommen überrascht aus«, sagte er und lächelte.
Peter nickte.
»Ich würde gerne mit dir etwas bereden.«
Peter zögerte. Aber mit diesem Zögern hatte er gerechnet.
»Ja?«
»Ich habe versucht, dich anzurufen.«
»Vor Kurzem?«
»Ja, aber vielleicht stimmt mit meinem Telefon etwas nicht. Ich habe gerade den Anbieter gewechselt. Und weil ich heute in der Gegend war, bin ich einfach vorbeigekommen. Ich glaube, ich kann dir helfen.«
»Wobei?«
»Bei deinen Problemen. Darf ich reinkommen?«
Zögern.
»Es dauert auch nicht lange.«
Peter trat zur Seite und ließ ihn zu seiner Erleichterung ein treten. Eine der größten Hürden lag damit hinter ihm. Die Sorge, dass er sich möglicherweise mit Gewalt Zutritt zur Wohnung verschaffen müsste, hatte ihn sehr belastet, denn damit wäre er ein verdammt hohes Risiko eingegangen. Peter war zwar kein physisches Prachtexemplar, konnte aber trotzdem ein schwerer Gegner sein. Vielleicht hätte er es sogar geschafft, ihm den Zu tritt zur Wohnung zu verwehren. Außerdem hätten der Wortwech sel und das Gerangel auf der Treppe womöglich Nachbarn auf den Plan gerufen, im schlimmsten Fall die Polizei. Doch er war einfach zur Seite getreten und hatte ihn hereingebeten.
»Danke«, sagte er und nahm seine Tasche. »Das ist nett von dir.«
Peters Zweizimmerwohnung war noch dunkler und klaustrophobischer, als er von außen angenommen hatte. Billige Möbel, abgetretene Böden, Farbe, die von den Wänden blätterte. Auf einem Tisch stand ein Terrarium mit einer Schlange, die regungs los auf dem Boden lag.
»Das ist eine Königsnatter«, sagte Peter und grinste. »Ich nenne sie Hitler.«
»Okay.«
Peter konnte nicht arbeiten. Er hatte ein paar Diagnosen – vermutlich verursacht durch das Unglück, das ihm mit siebzehn widerfahren war –, und zu seinen Symptomen gehörten Angstzustände und Depressionen. Im Moment wirkte er aber gar nicht depressiv. Er war verliebt, das Leben hatte eine neue, positive Wendung für ihn bereitgehalten. Sein Lächeln war leicht und un verkrampft. Ein großes Bild erfüllte beinahe eine ganze Wand der Wohnung.
»Kennst du L . A. Ring?« Peter blieb auf dem Weg in die Küche stehen, wo er sich einen Kaffee holen wollte.
Sie sahen auf das Bild. Eine alte Frau saß am Wegesrand, sie war nach einem langen, harten Arbeitstag auf dem Heimweg. Ihr Arm hing kraftlos nach unten, sie konnte nicht mehr und hatte aufgegeben. Und über ihr hing der Todesengel, bereit, sie mitzunehmen.
»Nein«, sagte er.
»Das ist eine vergrößerte Kopie«, erklärte Peter. » Aften, den gamle kone og døden, heißt das. Aus dem Jahr 1887. Das ist der Moment, bevor die Frau stirbt.«
»Ganz schön makaber. Warum hast du denn so ein Bild aufgehängt, Peter?«
Peter sah ihn an, kurz und intensiv. »Weil es mir genauso geht. Der Tod ist immer in der Nähe, das ist seit meinem Unfall so.«
Peter drehte sich um und ging in die Küche. Er setzte Wasser auf und holte Tassen und Löffel. »Ich habe nur Nescafé«, rief er.
»Ist schon in Ordnung.«
»Willst du Milch?«
»Nein danke.«
Er war ein paar Sekunden allein im Wohnzimmer. Diesen Moment musste er ausnutzen, er öffnete seine Tasche und holte die Spritze heraus. Sieben, acht Minuten. Die Worte hallten in seinem Kopf wider, aber es gelang ihm, sie zu verdrängen, sie unbedeutend werden zu lassen. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das Einzige, was jetzt wichtig war. Ketamin, 8 Milli liter. Intramuskulär. Direkt in den Trapezmuskel. Eine kurze Nadel, nur 25 Millimeter, damit sie nicht bis in den Lungensack vordrang. Ein ungeheuer effektives Betäubungsmittel mit einem schlechten Ruf in Dänemark, da es besonders starke Albträume auslösen sollte. Albträume, dachte er. Die sind im Moment Peters kleinstes Problem. Er stellte sich hinter die Tür und wartete. Hörte Geklapper aus der Küche. Peter war auf dem Weg, in den Händen ein Tablett.
»Also, dann lass mal hören, wie du mir helfen kannst.«
Der Stich saß exakt da, wo er sitzen musste: im obersten Teil der Schulter zwischen Rückgrat und Schulterbogen. Die ganze Dosis Ketamin drang mit einem effektiven Druck in seinen Körper. Er war selbst überrascht, wie schnell alles gegangen war. Wie
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