Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
signalisierte: Reden Sie nur, mich überrascht so schnell nichts mehr, war zwischen den Zeilen zu hören.
»Hier ist Hannah Lund. Ich möchte gerne eine Abtreibung vornehmen lassen. Eine Absaugung.«
»Ja?«
»Ja, eigentlich hätte ich einen medikamentösen Abbruch machen sollen, aber …«
»Hier im Rigshospital?«
»Ja«, sagte Hannah.
»Dann haben wir Sie im System?«
System , dachte Hannah, ein erschreckendes Wort. »Ja«, sagte sie.
»Und Ihr Name ist?«
»Hannah Lund.«
»Und Ihre Versichertennummer?«
Hannah nannte die Ziffern und wartete. Eine kurze Pause folgte, in der sie das Tippen auf einer Tastatur hörte.
»Es sieht so aus, als könnten wir das schon morgen machen«, sagte die Frau. »Weil wir Sie im System haben. Um zwölf Uhr. Wäre Ihnen das recht?«
»Gut«, hörte Hannah sich selbst sagen.
»Kommen Sie rechtzeitig und melden Sie sich an der Rezeption am Haupteingang. Die sagen Ihnen dann, wohin Sie müssen. Vor dem Eingriff müssen wir noch einen Ultraschall machen.«
»Ja.«
»Und es ist wichtig, dass Sie vorher nichts gegessen haben, okay?«
»Selbstverständlich.«
»Gut. Dann viel Glück bei allem«, sagte die Frau und legte auf.
Hannah steckte das Telefon in die Tasche. Wie lange hatte das gedauert? Eine Minute? Zwei? Zwei Minuten, um einen Doppelmord zu bestellen. Eine Minute pro Mord.
Sie blickte auf den Verkehr unter sich. Menschen stiegen in Autos, andere stiegen aus. Alle waren auf dem Weg irgendwohin. Junge Frauen mit Kinderwagen und glücklichem Leben. Warum dieser Anruf?, fragte sie sich selbst. Warum war die Methode wich tig? Die Art und Weise, wie das Todesurteil ausgeführt wurde? Weil der Richter nicht der Henker ist, dachte sie. Die Aufgabe des Richters ist es, Recht zu sprechen. Das Urteil vollstrecken dann andere aus. Bestimmt ist es richtig so.
Sie blickte auf das Buch, das auf dem Balkontisch lag, und wartete. Sokrates’ Gedanken über die Seele. Der letzte Zeuge, bevor das Urteil gesprochen wurde.
59.
Kopenhagen, Innenstadt, 11.46 Uhr
»Was hast du gesagt? In der ersten Hälfte der 70er?«
»Ja, Casper. Die Empfänger der Königsuhr von 70 bis 75. Kannst du mir da eine Liste besorgen?«
»Bestimmt. Wann brauchst du die …«
»Jetzt«, unterbrach Niels ihn und fuhr am Rathausplatz vorbei und über den H . C . Andersen Boulevard in Richtung Amager.
Casper versprach, sich darum zu kümmern und sich wieder zu melden. Als Niels wenige Augenblicke später an der Stormgade in Richtung Christiansborg fuhr, rief er zurück.
»Bist du bereit?«
»Ja.«
»Rune Toft, 1970, Søren Elmkvist, 1971, Mogens N. Brink, 1972, Allan K. Andersen, 1973, Filip Sølvgren, 1974, und Bjarne Fjord Jensen, 1975. Willst du sonst noch was wissen?«
»Danke«, sagte Niels. »Schick mir die Liste per SMS .«
Er beendete das Gespräch und fuhr am Schloss Christiansborg vorbei. Eine Friedensmahnwache stand an ihrem üblichen Platz und forderte mehr Frieden in der Welt. Frieden, dachte Niels und betrachtete sein malträtiertes Gesicht im Rückspiegel. Noch nicht.
***
Sommersteds Prophezeiung über den Fall des Ballettmeisters war noch nicht in Erfüllung gegangen. Aus dem Gesichtsausdruck des Mannes war aber zu schließen, dass es nicht mehr lange dauern würde. Niels klopfte an die offene Tür, und der Ballettmeister blickte auf.
»Ich habe einen Namen«, sagte Niels, ohne sich zu setzen.
»Wie sehen Sie denn aus? Was ist …?«
»Einen Nachnamen. Von dem, den ich suche. Oder besser ge sagt fünf.« Niels reichte dem Ballettmeister sein Telefon und zeigte ihm die SMS von Casper. »Sagt Ihnen einer dieser Namen etwas? Achten Sie auf die Nachnamen.«
»Joachim.«
»Joachim?«
»Joachim Elmkvist. Søren Elmkvist war sein Vater«, sagte der Ballettmeister und gab Niels das Telefon zurück. »Er ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben. Bis dahin war er beim Militär.«
»In der Leibgarde?«
»Das ist gut möglich.«
»Wo ist Joachim jetzt?«
»Er sollte unten sein und trainieren. Soll ich anrufen und mich erkundigen?«
»Nein, ich finde ihn schon.«
Niels war schon wieder auf dem Flur und hörte den Ballettmeister nur noch rufen, ob er ihn nicht begleiten solle. Nur ein einziges Mal fragte Niels nach dem Weg und landete schließlich gemeinsam mit rund zwanzig Ballettmädchen in einem Aufzug, der für maximal 1600 kg zugelassen war. Niels folgte der Gruppe in ihr natürliches Habitat, den Trainingssaal mit den Riesen spiegeln. Drinnen, hinter den dicken Scheiben,
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