Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
mer. Oder sie waren es gewohnt, dass die Klingel streikte.
Er trat in das schmutzige Treppenhaus – Graffiti an den Wänden, Zeitungen auf dem Boden – und ging in den vierten Stock. Dieses Mal kam er bis nach oben. Er wartete einen Moment, und als sein Atem sich wieder beruhigt hatte, klingelte er.
56.
Innenstadt, 11.34 Uhr
Nicht ein Kunde war im Laden, als Niels den Raum betrat. Armbanduhren und heiße Sommertage schienen irgendwie nicht zusammenzupassen. Oder gab es tiefere Gründe? Die Finanzkrise?
»Sie sagen mir, wenn ich Ihnen helfen kann, nicht wahr?« Der Uhrmacher sprach leise, als wäre alles, was hier drinnen besprochen wurde, vertraulich.
»Vielleicht können Sie mir wirklich helfen«, sagte Niels.
»Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?«
Es schien so, als hätte der Mann erst jetzt Niels’ malträtiertes Ge sicht gesehen. Er musterte ihn von Kopf bis Fuß und schien sich zu fragen, ob er es mit einem Junkie zu tun hatte und mit Ärger rechnen musste, sodass Niels seinen Polizeiausweis zog und sagte:
»Polizei Kopenhagen.«
»Was ist denn passiert?«
»Nichts«, sagte Niels und zeigte auf sein Gesicht. »Es geht da drum.«
Der Uhrmacher trat instinktiv einen Schritt zurück, als Niels sich näherte.
»Die Stelle da auf meiner Wange. Ich glaube, das ist der Abdruck von einer Uhr.«
Der Verkäufer schien sich nichts sehnlicher zu wünschen, als dass die Situation schnell vorüberging.
»Vielleicht können Sie erkennen, um was für eine Uhr es sich handelt? Ich habe auch noch das hier.«
Niels nahm das konkave Uhrenglas aus der Tasche. Endlich riss der Uhrmacher sich zusammen und trat näher.
»Das könnte wirklich von einer Uhr sein, ja«, flüsterte er.
»Und von welcher?«, fragte Niels.
»Könnten Sie einen Augenblick warten?«, sagte er und verschwand im Hinterzimmer.
55 Sekunden vergingen. Niels verfolgte den Sekundenzeiger einer der Uhren im Verkaufsraum. Er war schon drauf und dran, den Laden zu verlassen und die Spur als zu abwegig fallen zu lassen, als sein Blick auf einen Spiegel fiel. Es war eine Uhr, die ihn getroffen hatte, daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Warum sollte er also nicht alle Chancen nutzen?
»Dürfte ich Sie bitten, mir zu folgen? Wir brauchen ein bisschen mehr Licht.«
Niels folgte ihm hinter den Tresen in den angrenzenden Raum. Es war Büro und feinmechanische Werkstätte in einem. Der Uhrmacher setzte sich an einen Tisch mit von unten beleuch teter, transparenter Tischplatte.
»Das Beste wäre, wenn Sie den Kopf kurz unter das Licht halten könnten.«
Niels tat, worum er gebeten worden war. Eine unangenehme Stellung, die er nicht lange aushalten würde.
»Ein bisschen weiter nach unten.«
Niels drückte seine Wange auf den Tisch und schloss in dem grellen Licht die Augen.
»Sagen Sie Bescheid, wenn es zu warm wird«, sagte der Uhrmacher und starrte auf den Abdruck auf Niels’ Wange.
»Können Sie etwas erkennen?«
»Vielleicht.«
»Was?«
»Einen Augenblick noch.«
Der Uhrmacher stand auf und ging zu einem seiner Kollegen. Niels richtete sich auf. Plakate an den Wänden. Omega, Seiko.Niels sah den Uhrmacher das Glas hin und her drehen.
»Sieht aus wie eine Eterna«, sagte der Uhrmacher. »Das würde auch zu dem Glas, dem Schliff und dem Durchmesser passen. Darf ich noch einmal sehen?«, fragte er leise. Niels hielt seine Wange ein zweites Mal in das Licht. »Ja, die Stunden sind alle mit einem einfachen Strich markiert. Nur die zwölf hat zwei Striche. Können Sie so stehen bleiben?«
Aus seiner unangenehmen Positur heraus sah Niels, wie der Mann einen Katalog holte. »Ja,« sagte er zu sich selbst. Dann ging er zu Niels und verglich etwas in dem Katalog mit Niels’ Wange.
»Was ist das?«, fragte Niels und richtete sich auf.
»Ich glaube, es handelt sich um die hier. Das könnte wirklich sein. Aus der Zeit zwischen 1970 und 1975. Davon gibt es nicht viele.«
»Die Uhr da habe ich an den Kopf gekriegt?«
»Ich würde sagen, ja«, sagte der Uhrmacher. »Das würde auch passen. Dieses Modell hat man damals als Königsuhr genutzt. Das heißt, seit den 70er-Jahren war das dann natürlich die Köni ginnenuhr. Danach ist man zu Longines und Ole Mathiesen über gegangen und …«
»Königsuhr?«
»So nennt man die Uhr, die jedes Jahr an den besten Soldaten der königlichen Leibgarde ausgegeben wird.«
57.
Ydre Nørrebro, 11.38 Uhr
Unruhe. In Peters Blick lag Unruhe. Seine Pupillen zuckten leicht. Er spürte, dass irgendetwas nicht
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