Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
verblüffend einfach es plötzlich war, eine Kanüle in die Schulter einer nichts ahnenden Person zu stechen und eine hohe Dosis läh mender Flüssigkeit zu injizieren. Wie schockierend schnell eine Situation sich ändern konnte. Das Tablett mit den Kaffeetassen knallte auf den Boden. Überall Scherben. Einen Augenblick lang tat Peter gar nichts. Vielleicht hatte er nicht verstanden, was geschehen war. Vielleicht wollte er nicht verstehen, was vor sich ging: Ein alter Freund klingelte an der Tür, sagte, dass er ihm helfen wollte, man ließ ihn herein, bot ihm Kaffee an, und plötzlich hämmerte dieser Freund einem eine Kanüle in die Schulter, als wäre man ein Tier, das geschlachtet werden musste.
»Was tust du denn?«, fragte Peter und fuhr mit der Hand un tersuchend in seinen Nacken. »Was ist das?« Er starrte auf die Spritze. »Du hast mir irgendwas gespritzt.« In Peters Stimme war nur Verblüffung, keine Wut. »Du hast mir was gespritzt«, wiederholte er.
»Nein«, sagte er und versteckte die Kanüle hinter seinem Rücken.
»Doch.«
»Nein, du verstehst das falsch.«
Er versuchte, den sinnlosen Wortwechsel in Gang zu halten, um Zeit zu gewinnen. Mit jeder Sekunde, die verging, drang das Ketamin weiter und weiter in Peters Körper vor und vergiftete ihn, bis er ganz taub war.
»Warum hast du das gemacht? Warum hast du mich ge sto chen?«
Peter bekam keine Antwort. Aber die Wut war auf dem Weg. Das spürten sie beide. Er musste sie rauslassen. Dann explodierte Peter: »Was zum Teufel geht hier vor?«
Die Tür. Er musste den einzigen Fluchtweg abschneiden. Das war wichtiger als alles andere. Er rannte an ihm vorbei und stellte sich mit dem Rücken vor die Wohnungstür. Wich auf dem Weg einem harten Tritt aus und spürte den Luftzug von Peters wütendem, fast tierischem Brüllen.
»Was geht hier vor?«, rief er und startete einen neuen Angriff. Dieses Mal mit einem Schlag, der sein Ziel fast traf: das Gesicht.
Er spürte ein Brennen auf den Lippen und den süßlichen Geschmack von Blut. Trotzdem fuhr er mit seinem Schauspiel fort: »Immer mit der Ruhe, Peter. Du verstehst das falsch.«
»Verdammt!«
Peter verlor langsam die Kontrolle über sich. Sein Blick flackerte unfokussiert. Auch seine Bewegungen wirkten mit einem Mal fahrig. Er schwankte in Richtung Tisch, vermutlich suchte er eine Waffe oder das Telefon, um Hilfe zu rufen. Vergeblich. Seine panisch um sich schlagenden Arme holten erneut aus, trafen aber fast ausschließlich Luft. Er torkelte wie ein Betrunkener, und seine Glieder wurden steif. Er hatte Schlagseite, bald würde sein Schiff sinken.
Bald .
»Was machst du mit mir?« Seine Worte waren nur noch ein schleppendes Schnauben.
Ein letzter Angriff. Schon fast resigniert, zum Scheitern verurteilt. Peter fiel fast in seine Arme.
Bald .
Er hielt ihn fest und trat ihm mit einer schnellen Bewegung die Beine unter dem Körper weg, sodass sie beide zu Boden gingen. Peter lag unten. Speichel rann über seine Lippen, und seine Augen waren nur noch schmale Schlitze. Das war das zweite Symptom des Ketamins. Der tranceartige Zustand, in den die Patienten verfielen. Ihre Augen fokussierten nicht, schlossen sich aber auch nicht. Und sie produzierten Speichel. Jetzt war es ein Leichtes, ihn festzuhalten. Peters Muskeln gaben langsam nach. Sein heftiger Atem ging stoßweise und abrupt. Er sah aus wie ein Soldat, der auf dem Schlachtfeld starb. Nur dass er nicht von Ku geln getroffen worden war, sondern von einem Betäubungsmittel. Rollende Augen. Peter kämpfte nur halbherzig. Er hatte längst aufgegeben. Wusste, dass er nur noch loslassen konnte.
Bald .
»Lass mich los, verdammt!«, murmelte er und versuchte ein letztes, sinnloses Mal, sich aufzubäumen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Lass mich los!«
Bald .
Und weg war er.
Weg.
Er schleifte Peter in die Mitte des Raumes und stand auf. Atmete tief durch und versuchte, seinen Puls zu beruhigen. Noch war nichts überstanden. Jetzt fing alles erst an.
Jetzt .
Er warf rasch einen Blick auf die Uhr. Spätestens um 12.30 Uhr musste er hier raus sein.
58.
Islands Brygge, 11.42 Uhr
Es half, draußen zu sein und die Luft im Gesicht zu spüren. Nach unten auf die Straße zu blicken, auf der das Leben seinen normalen Gang ging. Das Leben, dachte sie. Oder der Tod.
Hannah rief im Rigshospital an und wurde mit der Gynäko logie verbunden. Nach einer weiteren Verbindung hörte sie schließ lich die Stimme einer älteren Frau, die Erfahrung
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