Der schlafende Engel
soll ich dir etwas sagen? Sie hat gut geschmeckt.«
»Du bist so abscheulich!«, fauchte Caro.
Wieder erschien dieses verzerrte Grinsen auf Chessys Zügen. »Findest du? Los, in die Katakomben mit ihnen.«
Die Katakomben ? Allein bei der Vorstellung, in diesem gruseligen Grab eingeschlossen zu sein, wo sie Layla entdeckt hatte, packte April die kalte Angst. Sie begann sich zu wehren, doch Chessy schnippte mit den Fingern.
»Sie nicht«, sagte sie. »Gebt sie her.«
Chessy drückte Aprils Arm auf den Rücken und schob sie einen Weg entlang, fort von der Party. April wusste, was das zu bedeuten hatte: Sie befand sich in tödlicher Gefahr.
»Wohin bringst du mich?«, rief sie und versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien, doch Chessy hielt sie mit schockierender Kraft fest.
»Keine Sorge«, sagte sie. »Ich erteile dir nur eine kleine Geschichtsstunde.«
Sie bugsierte April durch eine schmale Lücke zwischen den Bäumen und einen steilen, rutschigen Pfad hinunter. Prompt geriet April ins Straucheln und fiel der Länge nach hin. Schmerzhaft bohrten sich die Kiesel in ihre nackte Haut. »Los, hoch mit dir.« Ungeduldig zog Chessy sie wieder hoch. »Zwing mich nicht, dich an den Haaren zu schleifen.«
Sie schob sie auf einen breiteren Weg und drehte sie an den Schultern um, sodass sie mit dem Rücken an einem steinernen Grabstein stand. Inzwischen war die Musik zu einem leisen Hämmern in der Ferne verebbt. Unvermittelt wurde April bewusst, dass sie ganz allein mit einer Kreatur, die gerade eben das Blut eines jungen Mädchens getrunken hatte, in der Finsternis stand. Sie konnte zwar ihre Umrisse ausmachen, doch es war zu dunkel, um ihre Miene zu erkennen. Allerdings konnte sie sie sich lebhaft vorstellen.
»Man wird nach uns suchen, das ist dir doch wohl klar, oder?«, sagte April und bemühte sich um einen trotzigen Tonfall. »Meine Mutter weiß, wo wir sind.«
»Nein, das weiß sie nicht«, gab Chessy zurück. »Niemand weiß, dass du hier bist. Welche verantwortungsvolle Mutter würde ihre unschuldige Tochter schon zu einer Party auf einem Friedhof gehen lassen?«
»Seit wann zeigt denn meine Mutter Verantwortung? Damit kommst du nie im Leben durch«, sagte April, wohl wissend, wie lächerlich das klang.
»Aber das bin ich schon längst, Schätzchen.« Chessy trat näher. »Weißt du denn nicht, weshalb wir hier sind? Das hier ist unsere große Eröffnungsparty. Wir gehen an die Öffentlichkeit. Heute Abend. In Ravenwood.«
April schluckte. Gabriel! War er etwa dort?
»Was passiert in Ravenwood?«
»Du willst wohl meine Intelligenz beleidigen«, fauchte Chessy. »Ich weiß, dass diese Lachnummer von deinem Vater Ravenwood unter die Lupe genommen hatte und herausfinden wollte, inwiefern wir die armen Schüler ausbeuten. Buhhuhu. Aber hier geht es um etwas viel Größeres, Schätzchen. All die Leute, die du im Crichton Club gesehen hast, die Politiker und Industriekapitäne – sie alle haben sich in der Schule versammelt, um den König zu begrüßen. Wir übernehmen die Macht. Noch heute Nacht.«
Aprils Magen zog sich zusammen. Sie waren zu spät gekommen.
»Der König ist in Ravenwood?«
Chessy lachte.
»Du begreifst immer noch nicht, wie erbärmlich du bist, was? Dachtest du wirklich, wir wüssten nicht, wer du bist? Dass du und deine Freunde versuchen, euch bei uns einzuschleimen? Wir sind Vampire, April, keine Dummköpfe. Davina hat die ganze Zeit herumgejammert, von wegen ›Lasst sie in Ruhe. Wir können sie nicht umbringen. Ihr Vater wurde doch erst getötet. Das würde viel zu viel Aufmerksamkeit erregen‹, also haben wir dich in Ruhe gelassen. Aber jetzt hat Davina nichts mehr zu sagen, stimmt’s? Und all das spielt keine Rolle mehr.«
»Irgendjemand wird euch aufhalten«, sagte April, in der Hoffnung, überzeugter zu klingen, als sie in Wahrheit war. Währenddessen schob sie sich millimeterweise an der Steinmauer entlang. Wenn es ihr gelänge, um die Ecke zu biegen, könnte sie möglicherweise flüchten.
»Uns aufhalten? Sprichst du von den Wächtern?«, höhnte Chessy. »Von Miss Holden und ihren albernen Kräutern? Oder etwa von dir? Hier, ich werde dir zeigen, womit du es zu tun hast.«
Chessy legte ihr die Hand um die Kehle und hob sie scheinbar ohne jede Mühe hoch. Oh Gott, sie hat unglaublich viel Kraft . Sie zerrte April den Weg entlang, setzte sie ab und zwang sie, auf die Knie zu gehen.
»Sieh dir das an«, flüsterte sie April ins Ohr. »Ah, ist das nicht
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