Der schlagende Beweis
spielte Aaron Flynn den Deal aus, den Dobbs mit dem Staatsanwalt gemacht hatte. Der Zeuge werde praktisch als freier Mann aus dem Saal marschieren, erklärte Flynn den Geschworenen. Ihm werde das Gefängnis erspart bleiben, solange das Urteil wegen versuchten Menschenraubs noch ausstand - der einzigen Anklage, die überhaupt gegen ihn erhoben werde. Doch obwohl den Geschworenen bewusst sei, dass Dobbs ein Motiv habe zu lügen, hätten sie doch den Eindruck gewonnen, dass er die Wahrheit sagte, w ährend Paul McCann für die Tatzeit kein Alibi besitze.
Zwei Stunden nachdem sie sich zur Beratung zur ückgezogen hatten, kamen die Geschworenen mit einem Schuldspruch in allen Punkten der Anklage, einschließlich Mord, zurück.
McCann verkraftete das Urteil nicht. Er erlitt einen Zusammenbruch. Er schrie und heulte. Er schwor, dass er unschuldig sei und dass Dobbs l üge. Flynn versprach ihm, für ihn weiter zu kämpfen, wenn nötig bis zum Obersten Gerichtshof. Sie würden Berufung einlegen, sobald Melissa Arnold, die Gerichtsschreiberin, die Abschrift für das Verfahren vorlege.
Doch dazu kam es nicht mehr. Eine Woche nach dem Ende von Paul McCanns Prozess verschwand Melissa Arnold.
Jemand klopfte an Martin Alvarez' Schlafzimmert ür. Erschöpft setzte er sich auf und sah auf seine Nachttischuhr. Es war zwei Uhr dreißig morgens.
»Senor Alvarez!«, rief ein Mann. Alvarez erkannte die Stimme eines seiner Wachleute.
»Herein!«
Ein muskul öser junger Mann trat ins Zimmer.
»Was ist los?«
»Senor Arnold ist hier.«
»Was will er?«
»Das wollte er mir nicht sagen, aber er ist sehr aufgeregt.«
»In Ordnung. Führen Sie ihn in mein Büro, und bieten Sie ihm etwas zu trinken an. Ich komm runter.«
Einen Tag nach seiner Verhaftung hatte Lester Dobbs die Polizei zu Patty Alvarez' Grab in der W üste geführt. Martin war zu Hause, als er die Nachricht erhielt, dass Patty tats ächlich tot war. Er hatte die Leiche identifiziert und war zu seiner Hazienda zurückgekehrt. Er verließ sein Anwesen nur zu Partys Beerdigung und zu Paul McCanns Prozess. Mehrere Freunde hatten versucht, ihm einen Kondolenzbesuch abzustatten, doch Martin hatte sie weggeschickt. Das hier war etwas anderes. Gene Arnold war mehr als nur Martins Anwalt. Er hatte schon gegen einen Hungerlohn für Martin gearbeitet, als der noch ein Niemand war. Er war in schweren Zeiten stets für ihn dagewesen.
Alvarez zog sich rasch an. Als er das B üro betrat, sah er seinen Freund rastlos im Zimmer auf und ab gehen, die Wangen tränenüberströmt, das Haar ungekämmt. »Sie ist weg«, sagte Gene.
»Wer ist weg?«
Gene lie ß sich in einen Sessel fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Melissa«, stöhnte er.
Gene Arnold ma ß einen Meter siebzig, hatte eine Stirnglatze und einen Bauchansatz. Er machte, mit anderen Worten, nicht viel her, weshalb seine Heirat mit Melissa für alle völlig überraschend gekommen war. Er war ihr bei einer Anhörung in Los Angeles begegnet, wo sie als freie Gerichtsschreiberin gearbeitet hatte. Gene zufolge hatte sie gerade eine schlimme Ehe hinter sich. Er war von ihrem Aussehen elektrisiert und machte ihr bereits nach der ersten gemeinsamen Nacht einen Heiratsantrag. Sie heirateten in einer Hochzeitskapelle in Las Vegas und verbrachten die Flitterwochen im Caesar's Palace.
Vom ersten Tag an, als Gene mit seiner Frau nach Desert Grove kam, glaubten Klatschm äuler zu wissen, dass Melissa ihn nur wegen seines Geldes geheiratet hatte. Martin und Patty Alvarez sahen das Paar regelm äßig, und Patty war rasch zu der Überzeugung gelangt, dass Melissa nie in Gene verliebt gewesen sei - er war nur jemand, der ihr Sicherheit und Geborgenheit geben, sie auf Händen tragen und niemals betrügen würde.
Alvarez schenkte Arnold einen gro ßen Scotch ein und zwang ihn, einen Schluck zu nehmen. Als Gene sich so weit beruhigt hatte, dass er wieder zusammenhängende Sätze herausbrachte, erzählte er Martin, was vorgefallen war.
»Melissa ging heute Morgen wie immer zur Arbeit. Ich fuhr ins Büro. Etwa um halb zehn rief mich Marge von Mels Richterzimmer an und fragte, ob Melissa krank sei.« Gene sah zu Martin auf, sein Gesicht war ein Bild des Jammers. »Sie war gar nicht zum Gericht gekommen, Martin.«
Martins erster Gedanke war, sie sei Gene und der Langeweile von Desert Grove davongelaufen. Er wusste, dass Melissa ihren Mann und die Stadt schon recht bald satt gehabt hatte. Martins Vermutung beruhte auf dem Umstand,
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