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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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Hand.
    Während das Team fieberhaft arbeitete, zogen vor meinem Auge Bilder aus meinem Leben vorüber. Ich sah mich noch einmal als kleines Mädchen im Haus meiner Eltern undhörte ihre kränkenden Worte. Amina tauchte auf, verschwand aber gleich wieder. Bilder von Männern verschränkten sich miteinander: Mein Vater, Abdel und Hussein waren umringt von Terroristen. Wie ein Film glitt mein Leben in raschem Tempo an meinen Augen vorüber.
    Die Stimme des Arztes rief mich in die Wirklichkeit zurück.
    »Sie bekommt keine Luft. Ihre Lungen arbeiten nicht richtig. Sie muss künstlich beatmet werden!«
    Einen Moment lang spürte ich einen Schmerz in der Brust, konnte aber nicht reagieren.
    Während mein Körper eilig zur Reanimation geschoben wurde, beobachtete ich die Szene wie eine Außenstehende. Ich begriff den Ernst der Lage und wusste, dass ich mich in einem komaähnlichen Zustand befand. Jemand schlug vor, meine Tochter zu benachrichtigen.
    Kurz darauf merkte ich, dass Norah bei mir war, doch ich konnte mich nicht mit ihr verständigen. Wie gerne hätte ich sie beruhigt! Ich hörte ihr Weinen und fühlte mich so ohnmächtig.
    Als der Arzt sah, dass sich mein Zustand nicht besserte, bestand er darauf, dass Norah meine Eltern anrief. Vielleicht hatte er ja recht! Angesichts der außerordentlich ernsten Lage hoffte sie, ein wenig Trost zu finden.
    Sie erkannte die Stimme meiner Mutter.
    »Guten Tag, Großmutter! Hier spricht Norah.«
    Ein langes Schweigen folgte.
    »Norah! Wer?«
    »Norah, deine Enkelin! Die Tochter von Samia«, schluchzte Norah.
    »Ich habe keine Tochter und auch keine Enkelin!«
    »Doch! Du hast eine Tochter, Großmutter. Mama ist todkrank und stirbt hier im Krankenhaus. Wir leben in einem Hotelzimmer in einem schlechten Viertel von Paris.Allein können wir dort nicht bleiben. Was soll aus uns werden?«
    Norah glaubte, dass meine Mutter den Ernst der Lage begriffen hätte, weil sie Genaueres über meinen Zustand wissen wollte und sich nach dem Aufenthaltsort der Kinder erkundigte. Mit einem solchen Interesse hatte meine Tochter nicht gerechnet, und so gab sie bereitwillig alle gewünschten Auskünfte.
    Ich blieb vier Tage auf der Intensivstation. Die ganze Zeit über bekam ich mit, was um mich herum geschah, konnte aber nicht reagieren. Ich fühlte mich in guten Händen. Meine Töchter wechselten sich an meinem Krankenbett ab. Ich wusste, dass Norah ihre Arbeit aufgegeben hatte, um mehr Zeit zu haben. Als ich endlich die Augen wieder aufschlug, umarmten und küssten mich die beiden voller Erleichterung.
    Ich erfuhr, dass meine Eltern sich bereit erklärt hatten, meine Töchter im schlimmsten Fall bei sich aufzunehmen, während die drei Jungen zu ihrem Vater gekommen wären. Wäre ich bei der Operation gestorben, so hätte meine Familie nach Algerien zurückkehren müssen und wäre dort auseinandergerissen worden!
    Norah gestand mir auch, dass sie ihnen all unsere Daten gegeben hatte. Ich ahnte, dass dies Folgen haben würde, und die Zukunft sollte meine Vermutung bestätigen.
    Ich bat meine Tochter, ihnen mitzuteilen, dass es mir besser ging und ich das Krankenhaus verlassen hatte. Denn ich wollte um jeden Preis verhindern, dass sie sich noch einmal in mein Leben einmischten.
    Nach zwei Wochen aufmerksamer Pflege im Krankenhaus freute ich mich, wieder zu meinen Kindern zurückkehren zu können. Kaum hatte ich ihr Zimmer betreten, spürte ich die lebendige, ausgelassene Stimmung, die mir so vertraut war.
    Die Kleinen umarmten mich und wollten mich gar nichtmehr loslassen. So sehr hatte ich ihnen gefehlt! Meine Töchter wechselten vielsagende Blicke. Irgendetwas stimmte nicht. Ich bestürmte Norah, mir zu sagen, was los war.
    »Mama«, gestand sie endlich, »die anonymen Drohungen haben wieder angefangen, wie in Algerien. Der letzte Anrufer hat gesagt: › Deine Mutter hat noch lange nicht ihre gerechte Strafe erhalten. Gott sei Dank kann sie jetzt keine Bastarde mehr zur Welt bringen. ‹ Seit zehn Tagen sind Melissa und ich solchen Drohungen ausgesetzt. Wir halten das nicht mehr aus!«
    »Ich traue mich schon nicht mehr, aus dem Fenster zu schauen«, fügte Melissa hinzu, »denn der Mann am Telefon behauptete, er wäre in der Bäckerei gegenüber.«
    »Als du mir sagtest, dass du unsere Adresse meiner Mutter gegeben hast, Norah, da war mir klar, dass die Drohungen wieder anfangen würden. Wir werden ihnen nie trauen können!«
    »Aber der Arzt hat darauf bestanden, weil er fürchtete, du würdest

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