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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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er herrisch.
    Mit einem Ruck entfernte er das Klebeband von meinem Mund.
    »Ich habe alles verstanden. Machst du mich jetzt bitte los, ich muss zur Toilette.«
    Er folgte mir auch dorthin, um mich jeden Augenblick zu überwachen. Als ich zum Kinderzimmer ging, riss er mich an den Haaren zurück und zog mich fort. Doch es blieb mir noch Zeit, mit dem Fuß gegen ihre Tür zu treten. Meine Töchter wachten durch den Lärm auf und stürzten sich auf ihn, sodass er zu Boden fiel. Dann halfen sie mir auf und zogen mich in ihr Zimmer, dessen Tür sie sogleich verriegelten.
    »Macht auf, ihr Bastarde!«, schrie ihr Vater. »Ihr seid alle drei dabei, den größten Fehler eures Lebens zu begehen! Ihr werdet geradewegs zur Hölle fahren! Und ich werde euch noch schneller dorthin befördern! Ich werde das Haus mit Benzin übergießen und anzünden. Dann werdet ihr alle drei verbrennen! Ich wasche meine Hände vor Gott und seinen Getreuen in Unschuld, denn ich bin nicht verantwortlich für euren Ungehorsam gegenüber seinen Geboten. Wer vom Teufel kommt, wird auch dorthin zurückkehren!«
    »Norah, lass mich zu ihm gehen. Er ist zu allem imstande! Ich habe Angst um euch beide!«
    »Nein, Mama, du musst hier bei uns bleiben! Er führt nur große Reden. Du bist nicht allein, wir sind bei dir! Er hat nicht das Recht, sich an uns zu vergreifen, denn dafür würde er bestraft werden. Es wimmelt hier überall von Soldaten, die uns zu Hilfe kommen würden. Wärst du allein, könnte er dir eine Geschichte von Schande und Unehre andichten, aber wir sind nun einmal Zeugen. Niemand verlässt dieses Zimmer.«
    Ich war stolz auf meine Tochter. Sie war so mutig! Ich hatte in ihr stets ein Abbild meiner selbst gesehen, doch ich hatte mich getäuscht – und ich war sehr glücklich darüber. Mir wurde klar, dass sie eine starke Frau war, die ihre Angst überwinden konnte, um dem Wahnsinn ihres Vaters entgegenzutreten. Das hatte ich niemals vermocht.
    Die Nacht verging, ohne dass Abdel seine Drohung wahr gemacht hatte. Norah hatte sich nicht getäuscht. Am frühen Morgen schlich sie vorsichtig aus dem Zimmer, um sich zu vergewissern, dass er nicht mehr da war.
    »Der Weg ist frei, Mama, du kannst herauskommen. Wir sind allein.«
    Da meine Eltern auf Reisen waren, erzählte ich die Geschichte meinem ältesten Bruder. Er war der Meinung, dass ich an allem schuld sei. Schließlich hätte ich meinen Ehemann so weit gebracht.
    Wer konnte mir helfen? Ich hatte Angst vor Abdels Rückkehr. Ich wollte nicht, dass er noch einmal nach Hause zurückkam, ich wollte ihn überhaupt nicht mehr sehen! Und meine Töchter bestärkten mich darin.
    Nachdem wir das Für und Wider abgewogen hatten, beschlossen wir, zur Polizei zu gehen.
    Ich legte meinen Schleier an und begab mich mit den beiden Mädchen zur nächstgelegenen Polizeiwache.
    »Ich möchte Anzeige erstatten, Herr Polizist«, begann ich schüchtern.
    Ich war keineswegs überzeugt, dass dies die richtige Entscheidung war. Doch ich musste diesen Weg gehen, wir schwebten in Lebensgefahr!
    »Schon wieder eine!«, höhnte der Polizist. »Was hat er Ihnen denn getan, Ihr Mann? Hat er Sie geschlagen?«
    »Ja, er hat mich geschlagen und vergewaltigt. Und dann hat er gedroht, uns bei lebendigem Leib zu verbrennen.«
    »Aber, Madame, das sind doch nur große Sprüche! Wennwir alle Algerier einsperren würden, die ihre Frauen schlagen, dann gäbe es hier gar keine freien Männer mehr!«
    Immer noch fixierte er mich mit spöttischem Blick.
    »Ich glaube nicht, dass alle Männer ihre Frauen schlagen. Und ich bin hierhergekommen, weil ich glaubte, es sei Ihre Pflicht, uns zu schützen. Unser Leben ist in Gefahr.«
    »Glauben Sie, dass Ihr Mann ein Terrorist ist?«, fragte er jetzt in einem ernsteren Ton.
    »Er hat fundamentalistische Ansichten, aber ich glaube nicht, dass er ein Terrorist ist.«
    »Gut, damit ist der Fall abgeschlossen, Madame. Gehen Sie wieder nach Hause, und legen Sie Ihren Ehekrach selbst bei. Und jetzt noch ein kleiner Rat: Wenn Sie das nächste Mal den Schleier anlegen, dann machen Sie es auf korrekte Weise, nämlich so, dass er die Haare verdeckt. Sie sollten des Schleiers würdig sein, den Sie tragen, oder ihn gar nicht erst anlegen.«
    Da ich es nicht gewohnt war, den Schleier zu tragen, war er verrutscht, sodass mein Haar ein klein wenig hervorsah. Ich schob ihn wieder zurecht, allerdings nicht, ohne hinzuzufügen:
    »Warten Sie so lange, bis ein Mann seine Frau umgebracht hat?«
    »Wenn er Sie

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