Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Vorsicht, wenn wir das Haus verließen. Im ganzen Land trieben Terroristen ihr Unwesen. Junge Frauen, und ganz besonders hübsche, junge, unberührte Mädchen, zählten zu ihren bevorzugten Opfern. Ich ließ Norah und Melissa nie allein hinausgehen, denn in den Straßen Algiers wurden jeden Tag junge Mädchen entführt. Und es blieb jedem selbst überlassen, die jungen Frauen und Mädchen zu schützen.
10. Die Begegnung
Eines Nachmittags, als ich mit meinen Töchtern einkaufen ging, sprach uns ein junger Soldat an:
»Sind Sie von hier?«
»Nein, ich bin aus Frankreich«, antwortete ich.
»Aus Sicherheitsgründen rate ich Ihnen und Ihren Schwestern, diese Straße lieber nicht zu benutzen, denn hier ist es bereits zu mehreren Entführungen gekommen.«
Meine Töchter und ich mussten lachen. Unsere Reaktion verblüffte ihn.
»Das ist völlig ernst gemeint. Es geht um Ihre Sicherheit«, fügte er noch einmal nachdrücklich hinzu.
»Ich muss Ihnen das erklären. Wir lachen, weil Sie meine Töchter für meine Schwestern gehalten haben.«
»Entschuldigen Sie bitte, aber Sie sehen so jung aus, viel zu jung für so große Töchter!«, erwiderte er mit charmantem Lächeln.
Wir wollten unseren Weg fortsetzen, als er immer noch lächelnd fortfuhr:
»Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?«
Dieses Angebot verblüffte uns.
»Das ist nicht möglich, denn ich habe Angst, in Ihrer Begleitung gesehen zu werden. Meine Familie wohnt ganz in der Nähe, und solche Neuigkeiten verbreiten sich hier sehr rasch!«
»Ich verstehe. Aber ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer, und Sie rufenmich an. Dann wird niemand etwas erfahren. Was halten Sie davon?«
Ich warf meinen Töchtern einen raschen Blick zu. Lächelnd bedeutete mir Norah, auf seinen Vorschlag einzugehen.
»Gut, aber machen Sie schnell.«
Er reichte mir seine Karte und wünschte mir strahlend einen guten Heimweg. Bevor er verschwand, drehte er sich noch mehrmals zu uns um. Wie gut hatte mir sein Lächeln getan!
Unser Telefongespräch an diesem Abend dauerte bis zum frühen Morgen. Ich erzählte, und Hussein hörte mir zu. Auch die umgekehrte Rollenverteilung empfand ich als angenehm und erleichternd. Wir wollten unbedingt am nächsten Abend wieder miteinander telefonieren. Schlafen konnte ich nicht. Ich dachte daran, was wir einander erzählt hatten, und sah wieder sein strahlendes Lächeln vor mir. Wie im Film lief unsere Begegnung immer wieder vor meinen Augen ab.
Dieser hochgewachsene Soldat mit den angenehmen Gesichtszügen übte vom ersten Augenblick an eine große Anziehungskraft auf mich aus. Ich war dem Charme seiner blau schimmernden Augen erlegen. Jedes Mal, wenn er unter seinem dichten, beinahe rötlichen Schnurrbart lächelte, blitzte der Schalk aus seinen Augen. Ich konnte mir diese Anziehungskraft nicht erklären, denn ich erlebte sie zum ersten Mal. War es die Erinnerung an den jungen Soldaten, den ich aus meinem Fenster beobachtet hatte, oder die Tatsache, dass er völlig anders als Abdel aussah? Keine Ahnung, ich weiß nur, dass ich Schmetterlinge im Bauch hatte!
Norah weckte mich, nachdem sie das Frühstück vorbereitet hatte. Als sie sah, wie ich schlaftrunken die Augen öffnete, lachte sie.
»Du hast ganz schön lange mit ihm telefoniert, nicht wahr?«
»Rede nicht so mit deiner Mutter!«, erwiderte ich lachend.
»Gefällt er dir, Mama?«
»Wie findest du ihn denn?«
»Er sieht ziemlich gut aus und wirkt nett. Aber jetzt genug davon. Steh auf!«
Schon fing ich an zu grübeln! Sollte ich auch weiter mit ihm reden? Was würde geschehen, wenn meine Familie davon erfuhr, bevor ich offiziell geschieden war? Ich fürchtete mich vor der Reaktion meines Vaters, aber zugleich wollte ich nicht auf die Freude verzichten, die mir der Kontakt mit ihm bereitete. Er war für mich das Inbild des idealen Mannes!
Am nächsten Tag telefonierten wir erneut miteinander und beschlossen, uns gemeinsam mit den Mädchen einige Kilometer von meinem Haus entfernt zu treffen. Norah und Melissa freuten sich sehr für mich und waren einverstanden, mich zu begleiten. Als wir am vereinbarten Treffpunkt ankamen, wartete er bereits in seinem Auto auf uns. Wir fuhren zu einem abgelegenen Strand in einem Militärgebiet und gingen zusammen spazieren.
Meine Beziehung zu Hussein entwickelte sich auf ganz selbstverständliche Weise. Wenn ich mit ihm zusammen war, fühlte ich mich rundum wohl. Gleichzeitig übte er eine große Anziehung auf
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