Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
meine Wut und meinen Abscheu im Zaum zu halten.
Norah hielt den Blick gesenkt, während Melissa sich verängstigt an meinen Arm klammerte. Hussein war nicht anwesend, da wir glaubten, seine Gegenwart würde sich zu unserem Nachteil auswirken.
Unser Termin war für zehn Uhr festgesetzt worden. Ich wollte alles so schnell wie möglich hinter mich bringen, um Abdel aus meinem Leben zu verbannen! Endlich waren wir an der Reihe.
Vor dem Richter beschimpfte Abdel mich und auch meine Familie aufs Übelste.
»Ich will alle Möbel, Herr Richter, denn ich habe sie in Frankreich bezahlt. Hier sind die Rechnungen.«
Für eine Sekunde begegnete sein Blick dem von Norah.
»Entschuldigen Sie, Herr Richter, ich habe mich anders entschieden. Ich will nur das Auto behalten. Den Rest überlasse ich ihr, einschließlich der Kinder.«
Sein Verhalten verblüffte mich. Weshalb dieser Rückzieher nach dem Blickwechsel mit Norah? Es war überhauptnicht seine Art, auf irgendetwas zu verzichten, das er an sich reißen konnte. Hatte er etwa Angst? Oder plagten ihn mit einem Mal doch Schuldgefühle? Tief in meinem Innern wusste ich, dass Abdel kein Gewissen besaß und sein Sinneswandel also einen anderen Grund haben musste. Früher oder später würde ich es von Norah erfahren.
Jetzt aber ging die Verhandlung weiter, und die Scheidungsurkunde wurde unterzeichnet. Ich fühlte neues Leben in mir erwachen, und meine Töchter teilten meine Freude. Abdel – von jetzt an mein Ex-Ehemann – verließ den Raum. Plötzlich drehte er sich noch einmal um und fuhr mit der Hand über seine Kehle. Aber selbst diese Drohung konnte mein Hochgefühl nicht dämpfen.
Ich war nun offiziell geschieden und besaß das alleinige Sorgerecht für meine Töchter. Abdel hatte sogar auf sein Besuchsrecht verzichtet. Naiv glaubte ich, dass das von ihm unterzeichnete Dokument meinen Töchtern auch die Ausreise aus Algerien ermöglichen würde … Nur wenig später erfuhr ich jedoch, dass sie vor dem Gesetz trotzdem ihr ganzes Leben lang Töchter ihres Vaters bleiben würden. Was war das für ein Land!
Ich eilte nach Hause, um meine neu gewonnene Freiheit endlich mit Hussein teilen zu können.
»Ich bin so glücklich, Samia! Endlich kannst du wieder frei atmen! Jetzt steht unserer Ehe nichts mehr im Wege.«
»Am besten heiraten wir so schnell wie möglich!«, antwortete ich verliebter denn je.
»Wie wäre es mit Ende der Woche?«
»Meinetwegen auch gleich, Hussein. Ich sehne mich so sehr danach, dich bei mir zu haben!«
Wir beschlossen, die religiöse Zeremonie auf den nächsten Freitag zu legen, die amtliche Eheschließung sollte eine Woche später auf dem Rathaus stattfinden.
In meinem Heimatland ist es üblich, sich sowohl religiös wie standesamtlich trauen zu lassen. Die beiden Zeremonien können gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden. Die religiöse Zeremonie wird von einem Imam im Haus der Eheleute oder bei dem Geistlichen abgehalten. Erforderlich ist die Anwesenheit eines Zeugen, der in diesem Fall ein älterer Mann sein muss. Die amtliche Eheschließung findet im Rathaus statt, wo der Eintrag ins Eheregister erfolgt, sodass später auch die Kinder ins Familienbuch aufgenommen werden können. Die Frau braucht als Zeugen einen Mann, der den gleichen Namen wie sie trägt, oder sie muss die Einwilligung ihres Vaters vorlegen.
Am Freitag erschien Hussein mit dem Imam und drei Freunden. Der Älteste von ihnen sollte die Stelle meines Vaters einnehmen, mich führen und schließlich meine Hand freigeben.
Voller Ungeduld wartete ich im Nebenzimmer mit meinen Töchtern und einer Nachbarin auf den Beginn der Zeremonie. Ich wollte erst im Augenblick der Segnung an mein Glück glauben. Nachdem der Imam die Verse aus dem Koran rezitiert hatte, legte er Husseins Hand auf die meines Trauzeugen. Nun war ich vor Gott und den Menschen mit meinem Geliebten vereint! Ich war nicht mehr allein, von jetzt an waren wir zu zweit, um das Leben und all seine Probleme zu meistern!
Diese Nacht war meine erste wahre Liebesnacht! Zum ersten Mal in meinem Leben weckte die Gegenwart eines Mannes bei mir Zärtlichkeit und sinnliche Lust. Ich musste ganz langsam lernen, zu lieben und von einem Mann geliebt zu werden, vor dem ich keine Angst zu haben brauchte. Welch ein Genuss war es, verliebt neben einem Mann einzuschlafen und wieder aufzuwachen, dem ich vertrauen konnte!
Schon in dieser ersten Woche unserer Ehe verbesserten sich meine Lebensumstände sehr. Ich
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