Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
das so lange schweigend gelitten hatte und immer noch ein Teil von ihr war.
Nachdem Norah mir ihr Geheimnis offenbart hatte, wirkte sie viel gelöster und fröhlicher. Sie schwänzte die Schule nicht mehr, und ich zwang mich, weniger ängstlich zu sein, wenn sie das Haus verließ. Ihr Stiefvater passte auf sie auf, soweit es in seinen Möglichkeiten stand. Wenn sein Dienst es erlaubte, begleitete er sie auf dem Schulweg. Norah schien meinem neuen Mann zu vertrauen.
Etwa zur gleichen Zeit bemerkte ich Anzeichen an mir, die mir bereits wohlvertraut waren: Übelkeit, Erschöpfung und Müdigkeit. Rasch begriff ich, dass ich erneut schwanger war. Während Hussein überglücklich über seine erste Vaterschaft war, wünschte ich mir für mich, dass es auch die letzte sein möge.
Meine Frauenärztin, mit der ich befreundet war, machte einen Ultraschall.
»Meine liebe Samia«, verkündete sie mir lächelnd, »du wirst gleich doppelt glücklich sein: Du bekommst zwei Jungen.«
»Bist du sicher?«
Hussein war sehr stolz auf seine zweifache Vaterschaft.
»Dank dir kann ich erhobenen Hauptes vor meiner Familie und meinen Freunden erscheinen! Ich danke dir, Samia!«
In dieser Hinsicht sind alle algerischen Männer gleich: Sie empfinden es als eine Sache der Ehre, einen Sohn als Erstgeborenen zu haben. Als wir früher einmal von zukünftigen Kindern gesprochen hatten, versicherte er mir, dass er sich zwei Kinder wünsche, einen Jungen und ein Mädchen. Und ich hatte geglaubt, Hussein sei anders als die übrigen Männer dieses Landes!
Meine beiden Töchter freuten sich über die Neuigkeit, aber Norah hatte auch Vorbehalte:
»Wie sollen wir mit zwei Babys auf dem Arm aus diesem Land fliehen? Damit wird alles noch viel schwieriger!«
»Das stimmt, aber es war auch schon vor meiner Schwangerschaft schwierig, Algerien zu verlassen. Die Probleme bleiben die gleichen, ob mit oder ohne Babys. Wir werden eine Lösung finden und irgendwann fortgehen, das steht fest!«
Ich bemühte mich, überzeugend zu klingen, doch tief in meinem Herzen wusste ich, dass sie recht hatte. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, mit vier Kindern – davon zwei Neugeborene – eine so beschwerliche Reise zu unternehmen.Deshalb machte ich es so wie immer, wenn mir ein Problem kaum lösbar erschien: Ich verdrängte es und dachte nicht mehr daran. Wenn der richtige Augenblick gekommen war, würde ich die Sache angehen. Alles zu seiner Zeit!
Die Tage vergingen, und die Gefahren dauerten an. Wenn Hussein Norah nicht zur Schule begleiten konnte, passierte es immer wieder, dass sie verfolgt wurde. Danach ging sie jeweils ein paar Tage nicht zum Unterricht. Und da die Lehrer Norahs Fehlen für ungerechtfertigt hielten, wurde sie schließlich der Schule verwiesen.
Zwar war ich enttäuscht darüber, dass Norah nicht weiterlernen konnte, aber andererseits auch sehr erleichtert, sie in meiner Nähe zu wissen. Vielleicht kann man das Egoismus nennen! Aber es ging mir vor allem um ihre Sicherheit! Melissa ging weiterhin zur Schule, die ganz in der Nähe unseres Hauses lag. Ich konnte aus dem Fenster beobachten, wie sie das Gebäude betrat und verließ.
Die Monate vergingen, und meine Zwillingsschwangerschaft bedeutete eine immer größere Anstrengung für mich. Mein Körper wurde unförmig, ich war erschöpft und litt unter Blutarmut. Der Arzt schärfte mir ein, jede Aufregung zu vermeiden, doch das gelang mir nur schlecht. Die Geburt sollte durch Kaiserschnitt erfolgen, da die Zwillinge für eine natürliche Geburt zu ungünstig lagen. Der Gedanke an einen solchen Eingriff beunruhigte mich, denn ich fürchtete, auf dem Operationstisch zu sterben. Ich flehte den Arzt an, mir eine Vollnarkose zu ersparen, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, da die Periduralanästhesie damals in Algerien noch nicht angewandt wurde.
Ich hatte sogar erwogen, die Zwillinge in Frankreich zur Welt zu bringen und Hussein mit den Mädchen allein zurückzulassen. Aber meine Schwangerschaft war schon so weitfortgeschritten, dass keine Fluggesellschaft das Risiko einer Sturzgeburt während der Reise auf sich nehmen wollte. Und im Grunde konnte ich ihnen nur beipflichten!
Im letzten Schwangerschaftsmonat bat ich Norah einmal, mich nach draußen zu begleiten, damit ich auf andere Gedanken kam.
»Ich muss hier raus, sonst ersticke ich noch in diesen Wänden. Kommst du mit?«
»Natürlich. Wenn du wüsstest, wie ich mich fühle! Als würde ich hier drinnen langsam eingehen!«
»Sei
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