Der Schlittenmacher
gekaut. Er
hielt mir die Titelseite der Halifax Mail vors Gesicht. »Sieh dir das an, Wyatt!«, rief er. »Hier auf Seite 2. Irgendwelche Navy-Jungs haben gestern Abend in Halifax etwas unternommen.« Er warf mir die Zeitung ins Gesicht, und ich hörte, wie er das Zimmer verließ.
Ich ging in die Küche und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, dann setzte ich mich mit der Zeitung an den Küchentisch. Eine Überschrift auf Seite 2 lautete: POLIZEI ERMITTELT WEGEN EINBRUCHS: DREI RCN VERHÖRT. Und darunter: »Inhaber von Schallplattenladen in ernstem Zustand im Krankenhaus.«
Wirklich, Marlais, ich konnte es einfach nicht glauben. In dem Artikel über zwei Spalten stand, dass gestern am späten Abend Rowdys in Ballade & Fugue eingedrungen seien, den Laden auseinandergenommen und »laut Inventar des Inhabers Randall Webb 1789 Grammofonplatten mit klassischer Musik zerbrochen« hätten. Ich wusste sofort, dass es die drei Männer gewesen sein mussten, die durch das Fenster hereingeguckt hatten. Der Anführer war möglicherweise der Mann, der gehört hatte, wie Hans und Randall sich auf Deutsch unterhalten hatten. Der Artikel beschrieb weiter, wie sie Randall im Lagerraum angegriffen hatten, wie sie ihn »unflätig beschimpften und zusammenschlugen, ihm Nase, Kiefer und vier Rippen brachen und ihn mit einem Milzriss und einer schweren Gehirnerschütterung liegen ließen.« Erst um vier Uhr früh war Randall imstande gewesen, die Polizei anzurufen, die sofort einen Krankenwagen hinzunahm. Zu meiner Verblüffung war es Officer Dhomnaill – ich erkannte eindeutig sein Gesicht auf dem Foto aus Randalls Laden –, den die Zeitung zitierte: »Wir brachen die Tür auf und fanden Mr. Webb bewusstlos und blutend in den Trümmern seines Geschäfts.«
Ich fuhr zur Bäckerei, um Hans und Tilda die Nachricht zu überbringen. Es war schon neun Uhr, aber sie hatten sich eben erst zum Frühstück gesetzt. Ich hatte ja schon öfter gehört, dass Jungverheiratete manchmal länger schliefen.
MORD
Schließlich beschloss die Familie Dewis doch, sich das Geld für Tildas Dienste zu sparen, und so verlor sie den Auftrag. »Keine gute Tat bleibt ungestraft«, meinte Cornelia dazu, nachdem sie Tilda mitgeteilt hatte, dass Reverend Plumly angerufen und die Absage der Familie weitergegeben habe. »Und du hast sogar deine Hochzeit vorverlegt wegen ihnen.« Doch noch am selben Tag bekam Tilda ein neues Angebot – aus dem Dorf Lorneville.
»Das hat Reverend Greene von der Methodist Church vermittelt«, berichtete sie.
»Hatte er sich nicht geweigert, dich zu trauen?«, fragte Cornelia erstaunt.
»Er war einer von vielen, die Nein gesagt haben«, gab Tilda zurück. »Ich muss ja nicht sein bester Freund sein, ich muss bloß eine halbe Stunde mit ihm zusammenarbeiten.«
»Du siehst das sehr praktisch«, meinte Cornelia.
In den nächsten Tagen – vom 11. bis 13. Oktober – lebte ich wie ein Einsiedler. Ich war die meiste Zeit zu Hause, und meinen Onkel sah ich selten. Meistens hörte ich nur seinen Wagen kommen und wegfahren. Und was die Nacht vom 13. auf den 14. Oktober betrifft, Marlais, so habe ich das, was ich dir jetzt erzählen werde, zuerst nicht als Vorahnung oder etwas in
dieser Art gesehen. Doch es muss irgendeine Ahnung gewesen sein, die mich dazu brachte, in Donalds und Constances Schlafzimmer zu gehen und mich auf der Seite meiner Tante auf die Bettkante zu setzen. Ich spreche deshalb von einer Ahnung, weil ein paar Tage später ein Bericht in der Mail bestätigte, dass die Fähre Caribou in eben dieser Nacht torpediert und versenkt worden war.
Ich hatte wieder einmal nicht schlafen können. Mein Onkel war drüben in der Werkstatt. Ich saß auf dem Bett und wartete, dass sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, dann betrachtete ich die Ahnenbilder in ihren Rahmen an den Wänden. Ich sah die Haarbürste meiner Tante auf der Kommode, ihren Handspiegel, die Vase mit den getrockneten Blumen, ihren blauen Morgenmantel auf dem Haken an der Tür. Ich sah aus dem Fenster; das Mondlicht fiel auf die Kiefern, auf ein paar kleine Teiche und auf ein Flüsschen, das in das Minas Basin mündete.
Im Haus von Betty und Abel Wickersham brannte Licht, vielleicht waren sie schon auf zu dieser frühen Morgenstunde. Ich erinnerte mich, dass Abel erst vor einer Woche mit mir über Donald gesprochen hatte; auch ihm war nicht entgangen, wie sehr er sich verändert hatte. »Dieser Krieg – er macht uns alle fertig«, meinte Abel. »Der
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