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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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Grammofonplatten in einem eisernen Regal auf. »Steven Parish hat das für mich gebaut«, sagte sie. »Die Schallplatten sind aus Randalls Laden. Er ist ans Ende der Morris Street übergesiedelt – billigere Miete. Diese Kerle von der RCN haben sie laufen lassen, ohne Strafe, obwohl sie Randall fast umgebracht haben. In der Zeitung haben sie geschrieben, sie wären einfach Hitzköpfe. Und weißt du, was? Randall hört auf einem Ohr nichts mehr, nach dem, was sie mit ihm angestellt haben. Aber er hat gemeint, wenn er an Beethoven denkt, der schon so früh taub wurde, dann vergeht ihm das Selbstmitleid. Ich war fünf- oder sechsmal in seinem neuen Laden.«
    »Wie lebst du denn so, Tilda? Ich meine, wie bezahlst du alles?«
    »Ich mache meine Arbeit auf Begräbnissen in der ganzen Provinz.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass man damit genug verdient. «
    »Mom und Dad hatten etwas gespart. Nicht viel, doch immerhin. Und du weißt ja, wie sparsam ich bin. Ich schneide den Apfel in zwei Hälften und hebe drei Viertel für später auf.«
    »Das riecht gut, was da auf dem Herd steht. Ich bin am Verhungern. Darf ich?«
    »Greif zu, Wyatt. Ich setz mich nicht zu dir, aber es ist Moms französischer Eintopf. Du hast ja sicher schon bemerkt, dass es hier ein bisschen anders aussieht als früher – und die beiden Radios sind auch weg. Ich hab sie der Wohlfahrt überlassen.«
    »Das Grammofon steht noch da. Das ist nett.«
    »Du kannst Schallplatten auflegen, so viel zu willst. Du hast meine Erlaubnis.«
    »Vielleicht sitze ich einfach eine Weile hier in der Küche. Sie ist größer als meine Zelle in Rockhead.«
    »Gute Idee. Morgen kannst du dann ja wieder in die weite Welt hinausgehen. Warum fährst du nicht nach Advocate Harbor und machst einen langen Spaziergang? Runter an den Strand und ein bisschen Meeresluft schnuppern. Du hast noch nie viel über dich geredet, Wyatt, also kann ich mir vorstellen, dass du auch nicht gern erzählen wirst, wie es in Rockhead für dich war. Außerdem, was schmerzhaft zu erzählen ist, ist schmerzhaft anzuhören. Eine Plattitüde aus den Highlands.«
    »Ich bin froh, dass es vorbei ist – mehr habe ich darüber nicht zu erzählen«, sagte ich.
    »Ich wohne wieder in den Räumen über der Bäckerei. Ich wollte nicht in einem Haus sein mit jemandem, für den ich immer noch einen solchen Hass habe.«
    Als Tilda gegangen war, setzte ich mich zum Abendessen. Ich aß so hastig wie im Gefängnis – eine Gewohnheit, die sich wohl mit der Zeit wieder ändern würde.
    Es gibt da so ein Sprichwort: »Mord hält sich an keine Uhrzeit. « Ich habe das einige Male von einem Reverend Oostdijk gehört, einem Holländer, der in zweiter Generation in Halifax lebt und der die Häftlinge in Rockhead betreut hat. Er meinte
damit: Hat man ein Verbrechen begangen, dann darf man sich nicht wundern, wenn es einen irgendwann unerwartet wieder heimsucht. Das sei gleichzeitig Strafe und Erlösung, wie er es ausdrückte (das mit der Strafe habe ich verstanden). Das kann jederzeit passieren, Tag und Nacht. Vormittags und nachmittags. Oder in meinem Fall, wenn man den Eintopf aß, den Tilda zubereitet hatte. Ich blickte von meinem Teller auf und »sah« mich und Onkel Donald in der Tür stehen, die Kleider durchnässt, aufgewühlt, und hinter uns die Scheinwerfer des Pickups im Nebel. Ich saß genau an dem Platz, an dem Tilda an jenem Oktoberabend des Jahres 1942 gesessen hatte, als sie uns hereinkommen sah, während Hans Mohring schon draußen in der Fundy-Bucht trieb und der Regen Blindenschrift in die Pfützen vor dem Haus schrieb.
    Es ist eine Sache, wenn dir jemand sagt, dass sich »Mord an keine Uhrzeit hält«, aber etwas ganz anderes ist es, wenn du das selbst erlebst, wie es mir gerade widerfahren war. Ich taumelte vom Tisch zur Spüle hinüber, drehte den Wasserhahn auf und klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Sollte das noch einmal passieren , dachte ich, dann kann ich nicht hierbleiben . Ich fragte mich, ob Tilda das auch passierte. Und wenn ja, wie oft? Jede Nacht?
    Gegen neun Uhr abends war ich völlig fertig und schlief in den Kleidern ein, auf meinem alten Bett. Am Morgen war ich überrascht, als ich Vögel singen hörte. Ich fand den Autoschlüssel meines Wagens über der Sonnenblende auf der Beifahrerseite. Etwas skeptisch drehte ich den Zündschlüssel, doch die alte Karre sprang sofort an, was bedeutete, dass Tilda oder jemand anderes den Wagen während meiner Abwesenheit in Schuss gehalten

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