Der Schlitzer
abwimmeln lassen, was die Person im Haus auch nicht vorhatte, denn durch die verschlossene Tür klang eine brummige Frauenstimme.
»Ja, ja, ich komme schon.«
Eine Frau hatte ich hier nicht erwartet, obwohl es eigentlich normal gewesen wäre. Es war mein Fehler gewesen, mich so überraschen zu lassen, nicht jeder Wissenschaftler lebte allein. Daß sich eine Frau gemeldet hatte, entspannte die Lage ein wenig.
Sie öffnete die Tür. Der Lichtschein fiel gegen sie und auch gegen mich, so daß wir uns beide vorkamen wie in einer hellen Wolke. Ich blinzelte etwas, weil mich das Licht blendete, dann erst schaute ich mir die Frau an.
Sie war ungefähr vierzig. Das dunkelgrüne Wollkleid stand im krassen Kontrast zu ihrem blaßroten Haar. Es war kurz und sehr glatt geschnitten, umgab den Kopf beinahe wie ein Helm. Braungraue Augen musterten mich forschend. Hinter den Brillengläsern sahen sie groß aus, wirkten aber auch kalt. Die Gesichtshaut zeigte noch keine Falte. Sie war glatt, beinahe wie die einer Puppe. Um den Hals hatte die Frau eine Kette aus dicken Holzperlen gehängt.
»Bitte?« fragte sie.
Ich lächelte. »Pardon, wenn ich um diese Zeit unangemeldet störe, aber ich hätte gern mit Dr. Freeman gesprochen.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Das möchte ich ihm persönlich sagen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber Mr. Freeman ist für Sie im Augenblick nicht zu sprechen.«
Ich hakte nach. »Ist er nicht da?«
»Er ist nicht zu sprechen, das müssen Sie verstehen.« Ich wiegte den Kopf. »Schade, es wäre doch wichtig gewesen.«
»Das sagen alle, die mit meinem Bruder reden wollen. Melden Sie sich zuvor an, dann wird sich zeigen, ob er sie empfängt. Er ist ein bedeutender Mann, das weiß ich, auch wenn es sich noch nicht so herumgesprochen hat, doch jeder muß warten, auch Sie werden da keine Ausnahme machen.«
»Nur habe ich nicht soviel Zeit wie andere. Und ich möchte ihn auch nicht vorladen lassen.« Ich hatte mich entschlossen, es mit sanftem Druck zu versuchen.
Das half. Die Frau trat einen kleinen Schritt zurück. Sie rückte ihre Brille zurecht und erkundigte sich, wie sie das denn zu verstehen hätte.
»Mein Name ist John Sinclair«, erklärte ich mit sanft klingender Stimme.
»Ich bin Polizist, Scotland Yard, um genau zu sein.«
»Ach.« Mehr sagte sie nicht. Auf der anderen Seite zeigte sie sich auch nicht besonders erschreckt, eher nachdenklich und mißtrauisch, und sie rückte wieder an ihrer Brille.
»Ich kann Ihnen meinen Ausweis zeigen.«
»Das wäre nett.«
Sie schaute ihn nicht genau an, räusperte sich, gab ihn mir zurück und hörte dabei meine Frage. »Es ist nicht nötig, wenn Sie Ihren Bruder von der Arbeit wegholen. Ich kann ihm auch eine Einladung in mein Büro schicken, um dort mit ihm zu reden.«
»Nein, nein, das ist nicht nötig.« Sie reagierte jetzt sehr heftig. Ich hatte damit gerechnet, denn viele Personen ändern ihre Meinung, wenn sie hören, daß sie vorgeladen werden. »Es ist nur so, wissen Sie: Mein Bruder wird oft gestört von irgendwelchen Leuten, die etwas von ihm gelesen haben und ihm nun Fragen stellen wollen. Die Kürze seiner Zeit erlaubt es jedoch nicht, Antworten auf die Fragen zu geben. Da ist es schon besser, wenn ich die Termine für ihn mache.«
»Ja, das sehe ich ein.«
Die Frau streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin übrigens Lucy Freeman.«
Obwohl sie meinen Namen kannte, stellte ich mich noch einmal vor, und sie bat mich in ein Haus, in dem es für meinen Geschmack feucht und muffig roch.
Schon beim ersten Blick in den Flur hatte ich feststellen können, daß dieses Haus relativ eng war. Entsprechend klein mußten auch die Zimmer sein, und ich sah mich nicht getäuscht, als ich in einen Raum geführt wurde, der als Wohnzimmer diente und von der Einrichtung her meinen Vorstellungen nicht entsprach.
Hier sah alles aus wie aus dem Katalog herausgeschnitten. Dunkle Möbel, viele Bücher und schwere Sessel, die eigentlich zu groß für das Zimmer waren.
Hier fehlte jede Gemütlichkeit. Ich stolperte über die Kälte, dachte nach, was hier falsch war und merkte es schließlich. Es gab keine Blumen, überhaupt kein Grün und nicht einmal ein Bild an der Wand, das den röhrenden Hirsch gezeigt hätte. Nur die Tapete, die noch einen leichten Gelbschimmer aufwies.
»Nehmen Sie doch Platz, Mr. Sinclair.«
»Danke.« Ich setzte mich.
»Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?«
»Nein, danke.«
»Sie erlauben, daß
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