Der Schlitzer
zudrückte.
Ihr wurde schlecht, sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Neben dem Koffer fiel sie auf den Bettrand nieder und wartete zunächst ab.
Stillsitzen, lauschen — hören, ob sich in der Wohnung tatsächlich etwas tat.
Die Stille blieb.
Shelly dachte an den Friedhof. Da hatte sie den Schlitzer auch nicht gehört, nur gesehen und dabei auch gespürt, als der kalte Hauch ihren Nacken entlangstreifte.
Das war hier noch nicht eingetreten. In dieser Wohnung gab es keine Kühle, die Räume kamen ihr plötzlich überheizt vor. Lange würde sie es hier nicht mehr aushalten können. Sie mußte aus der Wohnung raus und verwarf auch den Gedanken, in ein Hotel zu ziehen. Das brachte nichts mehr, dafür war die Zeit zu kurz. Am besten war es, wenn sie zu einem Nachbarn lief und von dort mit dem Oberinspektor Sinclair telefonierte.
Shelly hätte sich am liebsten die Haare gerauft, weil sie daran nicht früher gedacht hatte. So konnte sie nur hoffen, daß es noch nicht zu spät war.
Ihre Beine bewegten sich wie von einer Mechanik angetrieben, als sie aus dem Schlafzimmer schlich. Ihr Gesicht zeigte einen völlig entfremdeten Ausdruck, wie sie im Wandspiegel sehen konnte, als sie ihn passierte. An der Tür blieb sie noch einmal stehen, schaute in den Flur, sah ihn zwar leer, ließ sich dadurch aber nicht beruhigen. Das Licht hatte sie ziemlich weit herabgedreht. Darüber ärgerte sie sich jetzt, weil es in der Diele nicht so hell war, wie sie es gern gehabt hätte. Die Wohnungstür lag links von Shelly. Sie konnte den Ausgang mit wenigen Schritten erreichen. Das war ein Witz — normalerweise, doch nicht in dieser Lage.
Sie ging schleichend. Den Mantel brauchte sie nicht, der Schlüssel steckte in ihrer Hosentasche, es war eigentlich alles normal, nur noch einen Schritt, dann…
Da spürte sie die Kälte!
Wie eine eisige und glatte Spiegelscherbe glitt sie über ihren Nacken und auch die rechte Wange hinweg, und diese Berührung ließ sie vor Schreck erstarren.
Er war da — er war in der Nähe!
Was tun?
Umdrehen?
Durch ihren Kopf rasten zahlreiche Gedanken, die sich verteilten wie Blitze. Shelly war völlig von der Rolle. Sie wußte nicht, was sie machen sollte, und sie traute sich nicht, sich umzudrehen. Da erwischte sie der kalte Hauch zum zweitenmal!
Diesmal noch kälter, noch intensiver. Shelly schrak zusammen, sie wußte genau, daß sich der Schlitzer in ihrer Nähe befand und beim dritten Anlauf seinem Namen alle Ehre einlegen würde. Sie konnte nicht mehr.
Mit einer schwerfälligen Bewegung fiel sie nach rechts und prallte gegen die Wand. Gleichzeitig auch gegen einen Bilderrahmen, der leicht ins Trudeln geriet.
In diesem Augenblick schellte es!
***
Natürlich hatte uns Bill Conollys Anruf alarmiert. Wir waren uns dabei wie die Feuerwehr vorgekommen, die blitzschnell zu einem Einsatzort mußte, um dort das Feuer zu löschen.
»James Freeman«, sagte Suko. »Kennst du den?«
»Nein, nie von ihm gehört.«
»Okay, dann holen wir ihn uns.«
Ich hatte meine Bedenken. »Oder nur einer.«
Sein Gesicht verfinsterte sich. »Sag mir doch genauer, was du darunter verstehst.«
»Ganz einfach. Du wirst ihn woanders suchen als ich.«
»Toll. Auf dem Friedhof? Das ist doch dein Revier, John.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Suko. Denk daran, was wir vorhin besprochen haben. Wir waren uns darüber einig, daß auch Shelly Wagner in Gefahr schwebt. Wenn wir schon zu zweit sind und wenn es möglicherweise auch zwei Schlitzer gibt, der eine stofflich, der andere feinstofflich, was wir noch nicht bewiesen haben, so sollten wir trotzdem davon ausgehen, daß er sich an zwei verschiedenen Orten aufhalten kann. Und vergiß nicht, daß Shelly eine Zeugin ist.«
Suko grinste breit. »Du hast eine seltene Art, einen zu überzeugen, Alter.«
»Finde ich auch. Deshalb nimm du deinen Wagen, ich fahre mit dem Rover.«
»Wo ist später der Treffpunkt?«
»Bei Freeman, denke ich.«
Suko nickte und zeigte mir sein Einverständnis. Ihm gingen nur die Worte der Unterhaltung nicht aus dem Kopf, als er sich auf dem Weg in den Londoner Süden befand. Eine Weile war er mit seinem Freund praktisch Stoßstange an Stoßstange gefahren, dann hatte er abbiegen müssen, um zu seinem Ziel zu gelangen.
Shelly Wagner wohnte sehr schön, wie man landläufig sagte. In einer ruhigen Gegend mit altem Baumbestand. Das neue Haus war abseits der Straße gebaut worden und im Sommer hinter dem Laub kaum zu erkennen. Jetzt, wo
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