Der Schlüssel zu Rebecca
Schlag niedersauste. Er zuckte zur Seite, etwas glitt von seinem Kopf ab und traf seine Schulter. Vandam schrie vor Schmerz auf, und sein rechter Arm wurde gefühllos. Der Arm des Fremden hob sich wieder. Vandam trat vor und griff ungeschickt mit der linken Hand nach dem Angreifer. Die Gestalt wich aus und schlug noch einmal zu; diesmal traf sie Vandams Kopf genau in der Mitte. Nach einem Moment flammenden Schmerzes verlor Vandam das Bewußtsein.
Kemel steckte die Pistole in die Tasche und kniete sich neben Vandams Körper. Zuerst berührte er dessen Brust und war erleichtert, starken Herzschlag zu fühlen. Rasch entfernte er Vandams Sandalen, zog ihm die Socken aus, rollte sie zusammen und stopfte sie dem Bewußtlosen in den Mund. Danach rollte er Vandam auf den Bauch, kreuzte seine Handgelenke hinter dem Rücken und fesselte sie mit dem Seil. Mit dem anderen Ende band er Vandams Knöchel zusammen. Schließlich befestigte er das Seil an einem Baum.
Vandam würde in ein paar Minuten zu sich kommen, sich aber nicht bewegen oder schreien können. Er würde hier liegen, bis jemand über ihn stolperte. Gewöhnlich hielten sich junge Männer mit ihren Freundinnen oder Soldaten mit ihren Mädchen in den Büschen auf, doch heute nacht hatte es so viel Unruhe gegeben, daß siebestimmt verscheucht worden waren. Möglicherweise würde ein später eintreffendes Paar Vandam sehen oder ihn vielleicht stöhnen hören ... Dieses Risiko mußte Kemel eingehen. Es hatte keinen Zweck, hier stehenzubleiben und sich Gedanken zu machen.
Er beschloß, einen raschen Blick auf das Hausboot zu werfen, und schlich leichtfüßig über den Treidelpfad zur Jihan . Im Inneren brannten Lichter, aber es waren keine Vorhänge über die Bullaugen gezogen. Er war versucht, an Bord zu gehen, doch er wollte zunächst Sadat um Rat fragen, da er sich seiner nächsten Schritte nicht sicher war. Kemel drehte sich um und kehrte zu seinem Auto zurück.
*
»Alex hat mir viel von Ihnen erzählt, Elene«, sagte Sonja und lächelte.
Elene erwiderte ihr Lächeln. War Sonja Wolffs Bekannte, der das Hausboot gehörte? Wohnte Wolff bei ihr? Hatte er sie nicht so früh zurückerwartet? Wieso war keiner der beiden verwirrt oder verärgert? Um Konversation zu machen, fragte Elene: »Sind Sie gerade aus dem Cha-Cha-Club gekommen?«
»Ja.«
»Wie war’s?«
»Wie immer – anstrengend, faszinierend, erfolgreich.«
Sonja litt nicht an falscher Bescheidenheit.
Wolff reichte ihr ein Glas Champagner. Sie nahm es, ohne ihn anzusehen, und erkundigte sich bei Elene: »Sie arbeiten also in Mikis’ Laden?«
»Nein.« Elene dachte: Interessiert dich das wirklich? »Ich habe ihm nur ein paar Tage ausgeholfen. Wir sind miteinander verwandt.«
»Sie sind Griechin?«
»Richtig.« Das Geplauder erhöhte Elenes Selbstvertrauen. Ihre Furcht wich. Was auch passieren mochte, Wolff würde sie schwerlich mit dem Messer bedrohen und vorden Augen dieser Frau vergewaltigen. Sonja verschaffte ihr eine Atempause. William war entschlossen, Wolff vor Mitternacht zu fangen.
Mitternacht!
Sie hatte fast vergessen, daß Wolff um Mitternacht über Funk mit dem Feind Kontakt aufnehmen und die Einzelheiten der Verteidigungslinie durchgeben wollte. Aber wo war das Funkgerät? Hier auf dem Boot? Wenn es woanders war, würde Wolff sich bald empfehlen müssen. Und wenn es hier war, würde er dann seine Botschaft vor Elene und Sonja senden? Was hatte er vor?
Er setzte sich neben Elene. »Was für ein Glück ich habe, hier zwischen den beiden schönsten Frauen von Kairo zu sitzen«, sagte Wolff.
Elene blickte vor sich. Ihr fiel keine Antwort ein.
»Ist sie nicht schön, Sonja?«
»Oh ja.« Sonja berührte Elenes Gesicht, nahm ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich. »Meinst du, daß ich schön bin, Elene?«
»Natürlich.« Elene runzelte die Stirn. Es wurde immer seltsamer.
»Das freut mich«, sagte Sonja und legte die Hand auf Elenes Knie.
Plötzlich verstand Elene.
Alles gab einen Sinn: Wolffs Geduld, seine gekünstelte Höflichkeit, das Hausboot, Sonjas unerwartetes Erscheinen ... Elene wurde bewußt, daß sie durchaus nicht sicher war. Ihre Furcht vor Wolff kehrte zurück. Die beiden wollten sie ausnutzen, und sie würde keine Wahl haben. Sie würde stumm und widerstandslos daliegen müssen, während die beiden mit ihr anstellten, was sie wollten.
Sie nahm sich zusammen.
Ich werde keine Angst haben. Was ist schon dabei, wenn sich die zwei mit mir vergnügen wollen?
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