Der Schlüssel zu Rebecca
unruhig. Die Situation dieses Picknicks war so normal, daß sie für einen Moment vergessen hatte, weshalb sie hier war.
»Wo wohnen Sie jetzt?«
»Mein Haus ist ... von den Briten requiriert worden. Ich wohne bei Freunden.« Er reichte ihr eine Scheibe Räucherlachs auf einem Porzellanteller; dann schnitt er eine Zitrone mit einem Küchenmesser durch. Elene beobachtete seine geschickten Hände. Was wollte dieser Mann von ihr? Warum gab er sich so viel Mühe?
Vandam war niedergeschlagen. Sein Gesicht schmerzte, und sein Stolz war angekratzt. Die große Festnahme war ein Fiasko gewesen. Er hatte in seinem Beruf versagt, war schmählich überlistet worden und hatte Elene unbekannten Gefahren ausgesetzt.
Er saß zu Hause und trank Gin, um den Schmerz zu lindern. Seine Wange hatte man neu bandagiert. Vandamwar überzeugt, daß Wolff nichts von dem Hinterhalt geahnt hatte, sonst wäre er überhaupt nicht aufgetaucht. Nein, er hatte nur Vorsichtsmaßnahmen ergriffen; und die Vorsichtsmaßnahmen hatten ausgezeichnet funktioniert.
Sie besaßen eine gute Beschreibung des Taxis. Es war ein auffallender Wagen, fast neu, und Jakes hatte sich die Nummer gemerkt. Jeder Polizist und Militärpolizist in der Stadt hielt nach ihm Ausschau. Alle hatten Order, ihn sofort anzuhalten und die Insassen festzunehmen. Sie würden das Taxi früher oder später finden, aber vermutlich zu spät, fürchtete Vandam. Trotzdem saß er neben dem Telefon.
Was Elene jetzt wohl tat? Vielleicht saß sie in einem kleinen Restaurant, trank Wein und lachte über Wolffs Scherze. Vandam stellte sie sich vor in dem cremefarbenen Kleid, wie sie ein Glas in der Hand hielt und spitzbübisch lächelte. Er blickte auf die Uhr. Vielleicht hatten sie ihr Dinner schon beendet. Was würden sie danach unternehmen? Nach altem Brauch sah man sich die Pyramiden im Mondlicht an: den schwarzen Himmel, die Sterne, die endlose flache Wüste und die sauberen dreieckigen Flächen der Pharaonengräber. Die Gegend würde verlassen sein, abgesehen vielleicht von einigen anderen Liebespaaren. Sie könnten ein paar Stufen hinaufsteigen; er würde voranklettern und dann den Arm ausstrecken, um ihr zu helfen. Vielleicht setzten sie sich auch auf die großen Steine und genossen die milde Nachtluft.
Auf dem Rückweg zum Taxi würde sie in ihrem ärmellosen Abendkleid zittern, und er den Arm um ihre Schultern legen, um sie zu wärmen. Würde er sie im Taxi küssen? Nein, dafür war er zu alt. Wenn er einen Annäherungsversuch machte, dann auf raffiniertere Weise. Würde er vorschlagen, in seine Wohnung zu fahren, oder in ihre? Vandam wußte nicht, was ihm lieberwar. Wenn sie zu ihm fuhren, würde Elene am Morgen Bericht erstatten, und er würde Wolff zu fassen kriegen samt Funkgerät, Codebuch und vielleicht sogar den Aufzeichnungen früherer Gespräche. Vom professionellen Standpunkt die bessere Möglichkeit – aber es würde bedeuten, daß Elene eine Nacht mit Wolff verbrachte. Dieser Gedanke erbitterte Vandam mehr, als er sich eingestand. Andererseits, wenn sie zu ihrer Wohnung fuhren, wo Jakes mit zehn Männern und drei Autos wartete, würde man Wolff schnappen, bevor er eine Chance hatte, mit ihr ...
Vandam stand auf und lief im Zimmer hin und her. Geistesabwesend nahm er das Buch »Rebecca« in die Hand, das Wolff wahrscheinlich als Vorlage für seinen Code benutzte. Er las die erste Zeile: »Gestern nacht träumte mir, ich sei wieder in Manderley.« Er legte das Buch auf den Tisch, nahm es dann doch wieder und las weiter. Die Geschichte des empfindsamen, eingeschüchterten Mädchens war eine willkommene Ablenkung von seinen Sorgen. Als im klar wurde, daß das Mädchen den attraktiven älteren Witwer heiraten und die Ehe durch das gespenstische Vorleben des Mannes ruiniert werden würde, schloß er das Buch. Wie war der Altersunterschied zwischen ihm und Elene? Wie lange würde sie ihrem bisherigen Leben nachtrauern? Er zündete sich eine Zigarette an. Wieso verging die Zeit so langsam? Warum klingelte das Telefon nicht? Ob etwas mit Elene passiert war?
Wo war sie?
Schon einmal hatte er eine Frau einer ähnlichen Gefahr ausgesetzt. Es war nach seiner anderen großen Niederlage gewesen, als Raschid Ali direkt vor Vandams Nase aus der Türkei geflüchtet war. Er hatte eine Agentin auf den deutschen Spion angesetzt, der die Kleidung mit Ali getauscht und dessen Flucht ermöglicht hatte. Vandam hatte gehofft, wenigstens etwas über den deutschenSpion herauszufinden. Aber
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