Der Schluss-Mach-Pakt
dem man immer dachte, er wäre nicht viel mehr als ein guter Bekannter.« Sie streckte die Hand aus und verschränkte ihre Finger mit denen von Dad. »Euer Vater und ich, wir waren auch schon eine ganze Weile nur so befreundet, ehe er mich fragte, ob ich mit ihm ausgehen wolle. Hat er euch mal erzählt, wie wir uns kennengelernt haben?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort und strahlte dabei übers ganze Gesicht. »Es war in einem Café. Wir bestellten dort immer den gleichen Muffin und das gleiche Getränk, und eines Tages, als ich es satt hatte, darauf zu warten, dass euer Dad den ersten Schritt tat, da wies ich ihn darauf hin. Von da an trafen wir uns jeden Morgen dort und unterhielten uns ein paar Wochen lang nur, ehe er den Mut fand, mich um ein Date zu bitten.«
Ich hatte echt Mühe, gegen den drohenden Brechreiz anzukämpfen. Ich wollte absolut nichts über das Liebesleben meines Dads erfahren. Nicht einmal harmlose Details wie die, die sich in diesem Café abgespielt hatten.
»Avery ist viel zu jung, um über Liebe und Romantik nachzudenken«, meinte mein Dad. »Ihr steht eine große Zukunft bevor. Da braucht sie sich nicht von irgendeinem Jungen ablenken zu lassen.«
»Ach, Mitch«, seufzte Trisha, wobei sie mich ansah und die Augen verdrehte, als wolle sie mich unbedingt wissen lassen, dass sie meinen Dad ja für so altmodisch hielt. »Es ist ganz normal, dass Mädchen in ihrem Alter sich für Jungs interessieren. Selbst die klügsten unter ihnen.«
Also bitte, war heute etwa Reden-wir-alle-über-Avery-Tag? Zeit für einen Themenwechsel. »Und, wie läuft es mit deinem Kunstprojekt?«, erkundigte ich mich bei meinem Bruder.
»Ganz prima«, sagte Ian mit dem Mund voller Essen. »Ich hab eine ganze Reihe toller Fotos geschossen.«
Mein Themenwechsel schien zu funktionieren. Trisha wandte sich jetzt mit funkelnden Augen Ian zu. Sie war wirklich eine richtige Schleimerin. »Was für ein Projekt ist das denn?«
Ian sprang von seinem Stuhl hoch. »Ich zeig es dir.«
Er sprintete über den Flur und kam Sekunden später mit einer Schuhschachtel zurück. Dann schob er seinen leeren Teller zur Seite, öffnete die Schachtel und verteilte Dutzende von Bildern über den Tisch.
»Ich hab vor, eine Collage zu machen von Leuten aus der Stadt. ›Alltagsleben in Willowbrook‹. Da zeige ich einfach irgendwelche Menschen, denen ich in der Stadt über den Weg laufe, wie sie ganz normal die Dinge tun, die sie immer tun. Ich glaub, das hier kommt in die Mitte.« Er deutete auf ein Foto von der alten Frau, der die Bäckerei gehörte, wie sie gerade hinter der Theke in der Nase bohrte.
Trisha musste kichern. »Nun, das ist definitiv ein echter Blickfang. Die Bilder sind fantastisch. Du hast wahrhaftig ein Auge dafür, Leute in ihrer alltäglichen Umgebung treffend einzufangen.«
Ian strahlte. »Danke!«
»Du hast ja so ein Glück, Mitch«, meinte Trisha, während sie die Bilder durchsah. »Du hast da zwei wirklich intelligente und talentierte Kinder.«
»Und ob ich Glück habe«, bestätigte er, wobei er uns alle angrinste.
Durch den Schleier der Tränen in meinen Augen wäre Trisha fast als meine Mom durchgegangen. Sie hatten in etwa die gleiche Statur – oder zumindest war Trisha in etwa so groß, wie ich meine Mutter in Erinnerung hatte, aus der Zeit, bevor sie verschwunden war. Wir hätten fast so was wie eine normale Familie beim Abendessen sein können, aber stattdessen war das alles natürlich reine Zeitverschwendung.
Denn eine Sache hatte ich in den sechzehn Jahren meines Lebens gelernt, nämlich dass man sich nie darauf verlassen konnte, dass die Leute bei einem blieben. Wenn man sich jemandem öffnete, hatte man hinterher nur Ärger damit.
Und heute Abend trug dieser Ärger ein Kleid mit viel zu tiefem Ausschnitt.
Unvermittelt stand ich auf und sagte: »Ich geh jetzt auf mein Zimmer. Ich hab da noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen.«
»Ich dachte, die hättest du bereits gemacht«, sagte Ian. »Ich hab dich doch am Tisch sitzen und sie machen sehen.«
Okay, noch so ein Punkt auf der Liste von Gründen, weshalb mein Bruder vermutlich die Pubertät nicht überleben würde, weil ich ihn nämlich vorher schon totgeprügelt haben würde. »Ich hab halt auch noch andere Hausaufgaben zu erledigen.«
»Wie viel Hausaufgaben kann ein Mensch machen müssen?« Ian sah noch einmal seine Fotos durch und zog ein anderes heraus, das er Trisha zeigen wollte. »Sieh dir das hier an. Einer meiner besten
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