Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
mich gern – dass ein Geistlicher seinen Füllhalter so lügen lässt! Als Freund jedenfalls wolle er mich darauf aufmerksam machen, dass ich mit meiner Lebensführung andere Frauen beleidige. Die größte Aufgabe der Frau sei es, Ehefrau und Mutter zu sein. Und mit meinem Lebenswandel würde ich das herabwürdigen. Keine Kleinigkeit. Ein guter Lebenswandel macht uns schön, ein unschöner hässlich. Bin ich schön?
Ja, sagt der Junge.
Und trotzdem ist mein Leben nicht schön, flüstert sie, gießt sich ein zweites Glas voll und kippt es ebenso schnell wie das erste.
Will sich Þorvaldur nicht bloß an dich ranmachen? Er hat doch seit Langem Probleme, seine Geilheit im Zaum zu halten, bemerkt Kolbeinn.
Ja, natürlich hätte der Kerl nichts dagegen einzuwenden, sagt sie, ohne eine Miene zu verziehen, aber vor allem wollen sie, dass ich überhaupt jemanden heirate.
Und wozu?, fragt der Junge.
Vielleicht weil sie so romantisch sind.
So was gibt’s bei denen nicht, erklärt Kolbeinn, die wollen bloß ihre Macht durchsetzen, schließlich bestimmen sie alles hier.
Friðrik hat gemeint, mit meinem Verhalten und meiner Lebensweise würde ich die ganze Gemeinschaft hier in Verruf bringen. Ich wäre ein schlechtes Vorbild. Heirate, sagte er, es ist nichts für eine Frau, allein zu leben. Er hat es natürlich nett ausgedrückt, aber es war keine Bitte, sondern ein Befehl.
Und was … was willst du tun, erkundigt sich der Junge.
Kolbeinn: Du hast eine Pistole. Benutz sie!
Das wäre ohne Zweifel ein befreiendes Vergnügen, sagt Geirþrúður.
Kolbeinn: Ich werde dich heiraten. Auch wenn mit mir nichts mehr los ist.
Willst du mich heiraten?, fragt sie und guckt den Jungen mit ihren dunklen Augen an, mit diesen beiden dunklen Sonnen.
Nein, du brauchst einen richtigen Mann, sagt Kolbeinn. Du bist so eine.
Tja, dann kommt ihr beide wohl nicht infrage, sagt sie, und für einen Augenblick verjüngt ein Lächeln ihr Gesicht.
Wozu musst du heiraten?, fragt der Junge noch einmal, rot im Gesicht, denn sie hat ganz sicher mitbekommen, wo er hingeguckt hat. Warum musste er auch so gucken?
Laut Gesetz, sagt Geirþrúður, ist eine Frau einem Mann rechtlich nur dann gleichgestellt, wenn er geisteskrank wird oder ein Kapitalverbrechen begeht.
Kolbeinn, fast vergnügt: Oder das Augenlicht verliert.
Geirþrúður: Wenn ich heirate, und zwar vermutlich einen Mann, der ihnen genehm ist, dann wird mein Zukünftiger über alles verfügen dürfen, was mir gehört. So will es jedenfalls das Gesetz, und dem müssen wir doch gehorchen, oder? Streng genommen dürfte ich, ohne vorher die Zustimmung meines Mannes zu bekommen, nicht einmal zum Bäcker gehen. Hier gibt’s also eine Menge zu holen, wenn du mich heiratest. Abgesehen von allem anderen, über das man nicht spricht.
Kolbeinn: Ich habe Friðrik nie ausstehen können, er war schon als Kind ein mieses Stück, und sein Vater kaum besser. Aber stark waren sie.
Geirþrúður: Der Mann ist stark. Ihr Männer seid stärker, ihr habt die Körperkräfte, um das zu beweisen, und wenn’s nötig ist, setzt ihr sie auch ein. So wird das Selbstvertrauen des Unterdrückers weiter gestärkt.
Ich bin nicht stark, sagt der Junge. Ich war’s nie, und ich werde es nie sein.
Ich weiß, sagt Geirþrúður. Was meinst du, weshalb ich dich aufgenommen habe? Ihr zwei seid so weit davon entfernt, echte Kerle zu sein, wie es überhaupt möglich ist. Der eine blind, der andere ein Traumtänzer.
Ich bin überhaupt kein Traumtänzer, murmelt der Junge, denn wer in Träumen lebt, muss hell und transparent sein wie eine Juninacht. Der guckt nicht auf die Spalte zwischen dem Ansatz von Frauenbrüsten. Der wacht nicht mitten in der Nacht ganz feucht und klebrig aus wüsten Träumen auf.
Zu meiner Zeit war ich schon ein echter Kerl, sagt Kolbeinn. Ich konnte sogar ein ziemlicher Dreckskerl sein.
Der Junge: Aber du hast nie geheiratet.
Kolbeinn: Nein, ich habe zu viel gelesen.
Der Junge: Was?
Kolbeinn: Lesen, das war irgendwie verdächtig. Am Ende bin ich dann auch noch blind geworden. Aber du müsstest endlich mal an ’ne Frau rankommen, dann wärst du auch nicht mehr so dumm und wirr im Kopf. Du solltest endlich ein Mann werden. Aber kannst du nicht einen von deinen Ausländern heiraten, Geirþrúður? Die haben dir doch im Bett schon Dienste geleistet, warum sie nicht noch ein bisschen weiter ausnutzen?
Der Junge starrt zu Boden.
Es sind doch nur zwei, Kolbeinn, sagt Geirþrúður. Beide sind
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