Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
dann die Augen nieder. Ja, er ist hier, sagt sie, knetet unschlüssig die Finger und schließt die Augen, die unter den Lidern vordrängen wie Adamsäpfel. Meine Güte ist die … hässlich, denkt der Junge überrascht, er kann den Gedanken einfach nicht zurückhalten, schämt sich aber auch gleich dafür.
Wartet bitte einen Moment, sagt Hulda plötzlich und deutet einen unbeholfenen Knicks an, dann geht sie eilig den Gang zurück und verschwindet um eine Ecke. Der Junge sieht Helga fragend an.
Sie ist die Tochter von Teitur und Ásgerður, sagt sie, genauso alt wie du, aber das arme Ding hat eine Höllenangst vor Männern.
So alt wie ich, Angst vor mir, wiederholt er mechanisch und weiß nicht, was von beidem ihn mehr erstaunt.
Du bist ja nun mal auch ein Mann, sagt Helga, als würde sie etwas völlig Neues aussprechen, aber Hulda ist nicht so hässlich, wie es äußerlich scheint. Lass dich nie vom Aussehen anderer in die Irre führen! Hallo, Teitur, begrüßt sie dann einen Mann, der mit schnellen Schritten auf sie zukommt und entschuldigend die großen Hände hebt.
Liebe Helga, sagt er, entschuldige, dass ich dich warten lasse, aber Friðrik sitzt mit seiner Familie und weiteren Gästen drinnen beim Essen, und du weißt, dass man ihn nicht mitten in einem Gespräch sitzen lässt. Ich hätte dir natürlich wegen Kolbeinn Bescheid geben sollen, aber er sitzt bloß in guter Gesellschaft bei uns in der Schankstube, und ich und wir alle haben ein Auge auf ihn. Hulda hätte ihn dann nach Hause gebracht. Ihr könnt euch auf uns verlassen. Kolbeinn wird nicht einfach wieder hier losstolpern wie letztens, aber, sag mal, wer ist der junge Mann in deiner Begleitung? Er beugt sich vor, um den Jungen eingehender zu betrachten, und sein Lächeln strahlt diese seltene Wärme aus, die die Welt zu einem bewohnbaren Ort macht. Der Ort wäre ärmer, wenn es Ásgerður und Teitur hier nicht gäbe. Das Hotel steht in der Ortsmitte und war ziemlich heruntergekommen, als die beiden es vor zwanzig Jahren kauften. Sie hatten mit der Fischerei ein wenig Geld verdient und wollten alles in die Renovierung investieren. Keine leichte Aufgabe, das Haus ist groß, zwei Stockwerke, Keller und ein ausgebautes Dachgeschoss, in dem die Wirtsleute und ihre Tochter Hulda wohnen. Es ging alles bestens, beide können tüchtig arbeiten, aber es fiel ihnen schwer, einen Namen für das Hotel zu finden, alles muss doch schließlich einen Namen haben. Menschen, Tiere, Berge, selbst die Fischgründe im Meer, eine Maus huscht durch die Küche und hat schon einen Namen weg. Wir benennen Dinge, um das Irrationale fernzuhalten und die Welt in den Griff zu bekommen, ein Hotel wird errichtet und muss irgendwie heißen. Nenne es Hotel Tod, und kein Mensch wird sich dort einquartieren außer depressiven Schriftstellern und potenziellen Selbstmördern, nenn es Himmelreich, und Nonnen werden dort einfallen, Geistliche und Kerle, die hoffen, es handele sich um ein heimliches Bordell. Teitur grübelte und grübelte. Hotel ohne Namen, sagte er schließlich verzweifelt nach dem hundertundsoundsovielten Vorschlag. Geht nicht, reimt sich auf Samen, konterte Ásgerður, die ihre Pappenheimer kennt. Mann, stöhnte Teitur, plötzlich von einem bei ihm seltenen Pessimismus befallen, da lebt man am Arsch der Welt, steckt all sein Geld in dieses Hotel mit vierzehn Zimmern, großen Zimmern, und das Ganze wird ein Schuss in den Ofen, wir werden alles verlieren und bei der Fürsorge landen!
Das Hotel da, wo die Welt endet, schlug Ásgerður vor, und damit war der Name gefunden. Gewiss war er so umständlich, dass ihn kaum jemand in einem Atemzug aussprechen konnte, und deswegen wurde er abgekürzt zu Hotel Weltende. Und den schlechten Prognosen zum Trotz, die natürlich aus dem angeborenen Pessimismus kamen, den schwere Jahrhunderte in unser Bewusstsein gepflanzt haben, läuft der Betrieb tatsächlich gut. Die beiden Eheleute halten zusammen, es steht gut zwischen ihnen, richtig schön sogar. Mein Goldstück, sagt Teitur manchmal mitten am Tag zu Ásgerður, sogar in Gegenwart anderer. Das ist unerhört. Bei manchen nutzt sich die Liebe niemals ab, nie wird sie ernsthaft auf die Probe gestellt, egal welchen Stürmen sie auch ausgesetzt sein mag, und die Kleinlichkeit, die sich im Alltag so gern einnistet, scheint den beiden nichts anhaben zu können. Wer solche Menschen kennenlernt, sieht plötzlich einen Sinn im Ganzen. Der einzige wirkliche Schatten auf dem Leben der beiden
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