Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
war gleichmäßig gegangen und ihr Gesichtsausdruck friedlich gewesen. Am Montag würde Dr. Jemiskate vorbeischauen und erfreut feststellen, dass es Mutter schon viel besserging.
Er suchte den richtigen Bahnsteig und nutzte die Zeit bis zur Ankunft, um sich die passenden Worte zurechtzulegen, mit denen er Johanna die frohe Botschaft mitteilen würde, dass sie sich mit Marvin vereinigen durfte und damit zur Adeptin der zweiten Stufe aufsteige.
Eine krächzende Stimme, die kaum zu verstehen war, kündigte die Einfahrt des ICE an. Lars hatte sich in der Mitte des Bahnsteigs postiert, so hatte er den besten Überblick. Menschen quollen aus den Schlünden der Waggons, Lars spürte Unwohlsein aufsteigen, wie Flüssigkeit umspülte ihn die Menge, er begann zu schwitzen. Jemand tippte ihm auf die Schulter, er fuhr herum. Johanna!
Sie lächelte ihn an, und er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Hallo Lars«, sagte sie, und ihre Stimme ließ ihn schaudern. »Da bin ich.« Sie breitete die Arme aus.
Er drückte sie und küsste sie auf die Wangen. »Alles klar?«, fragte er, obwohl er wusste, dass nicht alles klar war.
Sie stand aufrecht vor ihm, das Kreuz durchgedrückt, der Blick klar, was war mit ihr passiert?
»Ja, bestens, alles klar. Weißt du was?«
Er schüttelte hilflos den Kopf.
»Lass uns spazieren gehen. Im Volksgarten. Da war ich schon so lange nicht mehr. Und dann gehen wir bei Meckenstocks einen trinken.«
»In Ordnung.« In seiner Kehle kratzte es. In ihren E-Mails hatte er nichts Verdächtiges erkennen können. Wenn er es richtig bedachte, war es immer nur Small Talk gewesen, Banalitäten, nichts Wichtiges.
»Bei dir auch alles klar? Wie geht es deiner Mutter?«
»Gut«, sagte Lars. »Sehr gut. Ich glaube, sie wird bald wieder gesund sein.«
Johanna strahlte. »Nein! Wirklich? Das ist ja fantastisch! Wie kommt das …«
Sie verkniff sich die Worte, aber Lars wusste, was sie hatte sagen wollen: »Aber sie war doch schon so gut wie tot.«
Lars trat einen Schritt zurück. »Wo ist dein Gepäck?«
Sie hatte nur einen kleinen Koffer dabei.
»Das meiste ist noch in England.« Sie runzelte die Stirn. »Lass uns gehen. Ich erzähle dir alles, wenn wir im Volksgarten sind.«
Lars fügte sich, Angst kroch seine Wirbelsäule hoch. Warum hatte sie ihr Gepäck in England gelassen? Das konnte nur bedeuten, dass sie wieder zurückwollte. Aber das ging doch nicht. Sie musste hierbleiben. Er brauchte sie. Sie war auserwählt als Medium für den achtzehnten Henochischen Schlüssel, der Luzifer auf diese Welt rufen würde. Sie war die entscheidende Variable, all ihre Daten wiesen darauf hin: Geburtsdatum, Alter, Größe, alle Zahlen stimmten überein, ergaben die Lösung zum Schlüssel. Sie musste sich vorbereiten, das dauerte seine Zeit, zwei Jahre etwa, sie hatten keine Zeit zu verlieren, sie konnte, sie durfte nicht zurück!
Sie stiegen an der Haltestelle Volksgarten aus, gingen zum Biergarten.
Johanna begrüßte einen Bekannten, der dort arbeitete und bereitwillig ihren Koffer aufbewahrte. Sie hakte sich bei Lars unter, es dämmerte bereits. Johanna seufzte wohlig. »Ach Lars,die Welt ist manchmal seltsam. Seltsam schön. Irgendwie laufen mir immer die richtigen Leute über den Weg. Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben?«
Das wusste Lars noch genau, und er würde es niemals vergessen. Wie so oft hatte er auf dem Burgplatz alleine in einer Kneipe gesessen, Johanna hatte ihn bedient, war gestolpert und hatte ihn mit einer Altbierdusche beglückt. Sie war fast verzweifelt, er hatte gelacht und gesagt, dass Bierduschen gut seien für das Haar. Daraufhin hatte sie ebenfalls gelacht, aber nicht lange. Ihr Chef fiel über sie her, beschimpfte sie als einen hoffnungslosen Trampel. Lars versuchte ihn zu beschwichtigen, aber der Mann war vollkommen außer sich gewesen. Lars hatte vom Nachbartisch ein volles Glas Weizenbier genommen, es Johannas Chef über den Kopf geschüttet und gesagt, jetzt seien sie quitt. Das Publikum an den Tischen lachte und applaudierte, Johanna zog ihre Schürze aus, warf sie ihrem vollkommen perplexen Ex-Chef in die Arme und ging mit Lars zur Ufertreppe, wo sie sich niederließen und stundenlang redeten. Lars war begeistert von der Reinheit ihrer Seele, von ihrer ungebremsten Lebenslust, Johanna war begeistert von der satanischen Lehre, die so ganz anders war, als sie es vermutet hatte. Lars lud sie ein, und Johanna kam zu einem Treffen der Church of XXXL . Wenig
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