Der Schmetterlingsbaum
dort pflanzte er, nach Abholzung einer unvorstellbaren Fläche Laubwald, dieselbe Apfelsorte, die schon auf der väterlichen Farm in Nord-Ohio so gut gediehen war: den nach seiner Gattin benannten Kaziah Red. Sein Bruder Samuel hingegen kam nach ebenfalls langem Sinnieren und Beten (sie waren glühende Methodisten) zu der Überzeugung, seine Loyalität müsse der neuen Republik der Vereinigten Staaten von Amerika gelten, denn er und sein Vater hätten schon die Befreiung Irlands von den Briten befürwortet, obwohl es gerade Männer wie er waren, die, aus sehr ähnlichen Häusern wie dem fiktiven Butler’s Court stammend, diese Befreiung so schwierig machten. Die Amerikanische Revolution erschien ihm als ein ähnlicher, aber aussichtsreicherer Weg in ebendiese lang ersehnte Freiheit.
Nach dieser zweiten Auswanderung – die erste hatte sie von Irland nach Amerika geführt – zogen die Söhne von Amos Butler entlang dem Nordufer des Eriesees Richtung Westen, und es war mein Ururgroßvater, der die berühmten Obstplantagen anlegte, von denen der Onkel erzählte; erst kurz vor der Geburt unserer Generation wurden sämtliche Bäume gefällt und verheizt und neue Pflanzungen mit McIntosh-Äpfeln angelegt. Um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert wanderte ein Mitglied der dritten Butler-Linie, ein unverheirateter Leuchtturmwärter, von Irland nach Amerika aus und erhielt schließlich den Leuchtturm am Point anvertraut, wo ich jetzt arbeite und über dem ich an fast jedem Morgen meines Lebens die Sonne aufgehen sehe.
Als ich zur Welt kam, hatte der Point sich bereits sehr verändert. Der Leuchtturm war mechanisiert und unbemannt, und die Provinz hatte ein Vogelschutzgebiet eingerichtet. Der Pier war stillgelegt und die alte Point Road umbenannt, sie heißt jetzt Sanctuary Line.
»Für mich ist diese Sanctuary Line nach wie vor die Point Road«, sagte meine Mutter, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Damals, als die Eltern mit uns diese Straße entlangfuhren und dann weiter auf dem Talbot Highway fünf Meilen bis Kingsville, hätte sich kein Mensch träumen lassen, dass man eine Straße einfach umbenennen kann. Von Kingsville aus – ach, ich weiß noch, diese wunderschönen alten Ulmen! – jedenfalls ging es von dort mit der Fähre weiter nach Pelee Island und dann über den See nach Sandusky in Ohio. Ich bewundere die Amerikaner, aber mit ihrer Politik bin ich absolut nicht einverstanden«, ließ sie mich nicht zum ersten Mal wissen. »Aber«, fügte sie geistesabwesend hinzu, »damals habe ich mir darüber wohl keine Gedanken gemacht. Wann war das eigentlich – im Krieg?«, überlegte sie.
»Ja«, antwortete ich, »aber das war nicht der Krieg, mit dem du nicht einverstanden bist.«
»Wir«, sagte sie und meinte die Familie, »sind dem Krieg damals entgangen. Zum Teil deshalb, weil alle entweder zu jung oder für die Landwirtschaft offiziell unabkömmlich waren.« Sie schwieg eine Weile. »Die arme Mandy«, sagte sie dann, als sei sie der Meinung, das Schicksal habe aufgrund der Befreiung einer früheren Generation vom Dienst in einem ganz anderen Krieg Mandys Tod beschlossen. Mein Blick wanderte wieder zum Foto meines Onkels. Auch er trug darauf eine Art Uniform, aber die hatte nichts Militärisches. Er war zu dem Zeitpunkt ein junger Mann gewesen, eigentlich noch ein Junge, und das Geschirr, in dem er steckte, hätte man für das Gurtwerk eines Fallschirms halten können. Aber es ist etwas anderes: eine Hilfe zur Optimierung der Obsternte. Vorn sind zwei Haken, und daran hängt man den Korb, der sich rasch mit Kirschen oder Pfirsichen füllt. Pfirsiche oder Kirschen sage ich deshalb, weil ich am Saum des Waldstücks im Bildhintergrund Phlox blühen sehe ( P. divaricata aus der Familie der Himmelsleitergewächse), und wenn die Äpfel reif sind, ist es mit der Phloxblüte wieder vorbei.
»Ich erinnere mich, wie ich von der Fähre zur amerikanischen Küste hinüberschaute; wie dort alles immer größer und größer wurde, je näher wir kamen«, sagte meine Mutter. »So was fällt einem als Kind auf.«
Wie heiter muss diese langsame Reise in Etappen gewesen sein; zuerst, hinter Autofenstern, die dem Fahrtwind geöffnet sind, die vorbeiziehenden alten Häuser der Loyalisten, dann die Fähre in Kingsville, das Picknick auf Pelee Island, die zweite Fahrt mit der Fähre, der Blick auf Plantagen und Wirtschaftsgebäude, die ein Spiegelbild der Plantagen und Wirtschaftsgebäude auf und um die Farm der eigenen
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