Der Schmetterlingsbaum
Spannung und Furcht auf die Rückkehr der Mütter, und alle Freude war aus uns gewichen. Mein Onkel kam nicht heraus. Er stand einfach, verschanzt hinter Geistesabwesenheit und Unnahbarkeit, in dem ruinierten Wohnzimmer und hielt ein Glas in der Hand.
Er kam überhaupt nicht mehr heraus. Er forderte uns nicht auf, das Seil in den Schuppen zurückzubringen. Er fuhr den Traktor nicht in die Scheune. Er ließ einfach diese materiellen Spuren seiner starrsinnigen Hirngespinste weithin sichtbar liegen und stehen, wie um zu sagen: »Seht her, was ich versucht habe. Seht mein Versagen.«
Ja, heute denke ich, dass er den Zorn, den meine Tante eine Stunde später so ungestüm äußerte, unbestimmt herausfordern wollte. Irgendetwas in ihm wollte, dass seine Frau genau sah, was er getan hatte.
Ich weiß noch, wie rasch Teo und seine Mutter vom Schauplatz verschwunden waren, sobald sie ahnten, dass es Ärger gäbe; interessant eigentlich, wie sehr sie darauf eingestimmt waren, dass immer irgendwo Ärger lauerte, wie eine Zweitbesetzung, die in den Kulissen auf ihre Chance zum Auftritt wartet.
Vielleicht trugen alle Arbeiter diese Vorahnung mit sich herum. Sollte es tatsächlich so gewesen sein, werden wir es allerdings nie wissen. Ich gestehe mit Beschämung, dass meine Cousins und ich den Mexikanern wenig Aufmerksamkeit schenkten, natürlich mit Ausnahme von Teo, den uns mein Onkel aufgedrängt hatte. Sie waren immer auf den Plantagen und den Feldern unterwegs, in unterschiedlich gefärbte Baumwolle gekleidet wie ein buntes Gemüsebeet, und ihre Bewegungen waren so zuverlässig und so leicht zu übersehen wie der Tanz des Buschwerks unter dem Hauch eines gleichgültigen Windes. Was ging ihnen durch den Kopf? Welche geheimen Freuden oder Leiden trugen sie im Herzen, wenn sie sich tagein, tagaus zur Erde bückten und zu den Ästen streckten, um die bereitgestellten Körbe zu füllen? Das alles taten sie die ganzen langen Sommertage hindurch, während wir rannten und schwammen und lasen und unsere Puppenkleider zum Trocknen aufhängten.
Wie ich schon sagte, waren die Arbeiter in der Mehrzahl Männer, aber es waren auch ein paar Frauen darunter, vorwiegend Mütter, deren Kinder, anders als Dolores’ Teo, in der Obhut einer Großmutter oder Tante in Mexiko zurückgelassen wurden. Meine eigene Tante hatte darauf bestanden, ausschließlich Mütter einzustellen, wenn es denn sein musste, dass man auch weibliche Arbeitskräfte beschäftigte; dahinter stand sicher die Annahme, dass dieser Status sie für die Männer weniger interessant machte. (Zu meiner Mutter hörte ich sie einmal sagen, dass in der Anfangszeit unter den eingeflogenen Saisonarbeitern allerlei stattgefunden habe, was ihr missfiel.) Welche Vielzahl mütterlicher Sorgen diese Frauen unterdrücken mussten, während sie im fernen Ausland für einen geringeren Lohn als den landesweit geltenden Mindestlohn arbeiteten, wurde nicht in Betracht gezogen. Auch dass sie es Dolores übel nehmen könnten, weil sie dank ihrem höheren Status als Vorarbeiterin ihr Kind bei sich haben durfte, wurde nicht erwogen. Aber alle Arbeiter hätten Dolores respektiert, sagte meine Tante. »Sie ist so viel wert wie zehn Männer.« Das war, erinnere ich mich, ihre Antwort, als meine Mutter zweifelte, ob es sinnvoll sei, eine Frau als Aufseherin zu haben. »Und die Männer respektieren sie vielleicht noch mehr als die Frauen.«
Am Wochenende trafen wir die Mexikaner in der Stadt. Samstags warfen sie Briefe ein, kauften in den Läden ein, was sie so brauchten, und sonntags besuchten sie eine Frühmesse, die im Keller der Legion Hall auf Lateinisch stattfand, der Sprache, die der ihren am nächsten war. Gehalten wurde sie vom örtlichen Priester vor dem, wie meine Mutter zu sagen pflegte, eigentlichen Gottesdienst in der katholischen Kirche der Stadt. Immer in Gruppen in den Parks und auf den Straßen unterwegs, wirkten sie vor dem unechten Klassizismus der Kolonialarchitektur Ontarios viel fremdartiger als auf der Farm, und wir Kinder starrten sie dann an, wie wir es sonst, wenn wir sie auf den Plantagen und den Feldern arbeiten sahen, nie getan hätten. Es entging uns nicht, mit welcher Geduld diese zwei Dutzend Fremden am Samstagmorgen in der Apotheke warteten, bis sie bedient wurden, oder nach ihrer Sondermesse vor einer Telefonzelle Schlange standen. Auf die Idee, diese Sondermesse könnte bedeuten, dass sie sich in der örtlichen Kirchengemeinde nicht willkommen fühlten, kamen wir
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