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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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nicht. Wir dachten auch nicht an ihre Sehnsucht nach einer fernen Stimme in dieser Telefonzelle, an ihr Bedürfnis, vielleicht Zärtlichkeiten mit einem geliebten Menschen auszutauschen oder sich zu vergewissern, dass es dem zurückgelassenen Kind gut ging.
    Und dann war da Teo. Er wurde zum Kind aller Mexikaner, die vom eigenen Nachwuchs getrennt waren, und es war unübersehbar, dass er von allen angebetet wurde – selbst die verschlossensten Gesichter erwachten zum Leben, wenn er an einem Feld entlang oder durch eine Allee ging. Er war diesen Menschen ein kleines Glanzlicht, erhellte ihnen den Tag, der von der ganzen Schinderei verschlissen und bedeutungslos geworden war. Ich glaube, es waren seine stille Höflichkeit und seine feinen Manieren, die meine Tante bewogen, der Forderung meines Onkels nachzugeben und ihn mit uns spielen zu lassen.
    Ich war auch nicht unempfänglich für seinen Charme. Und ich konnte dieses Gefühl zwar nicht näher bezeichnen, aber mir war sein Leuchten zu Herzen gegangen. Dennoch fragte ich ihn auch in diesem letzten Sommer nicht nach dem Namen seiner Heimatstadt, fragte ihn nicht, obwohl es mich doch so zu ihm hinzog, nach seinem Nachnamen. Selbst wenn ich heute die Möglichkeit hätte, nach ihm zu suchen, hätte ich keine Ahnung, wo ich damit anfangen sollte. Nein, ich fragte nie nach den einfachsten Details seines Lebens, denn aus meiner damaligen Sicht der Dinge war es, als würde Teo jeden Sommer neu geboren, wie die Blüten, wie die Früchte und ja, Sie haben recht – wie die Schmetterlinge.

    In diesem letzten Sommer war ich an ein paar Abenden längere Zeit allein in dem Zimmer, das ich sonst mit Mandy teilte. Sie hatte Freunde in der Stadt zwei Meilen die Sanctuary Line aufwärts, und manchmal setzte sie sich mit ihren Brü dern in den Volvo, und sie fuhren zu einem fröhlichen Abend davon. Einmal kam ich sogar mit, zum Tanzen im Sanctuary Pavilion, war aber in Gegenwart von Teenagern, die einander seit der Grundschule kannten, derart befangen, dass ich danach nie wieder mitwollte. Ich ahnte, dass ich, so fehl am Platz, wie ich war, von meinen Cousins in derselben Sekunde vergessen wurde, in der sie die Tanzfläche betraten, und vielleicht noch schneller, wenn sie jemand Interessantes an der Wand gegenüber lehnen sahen. Das fand ich völlig normal, und mir war schon damals klar, dass sich dahinter keine Unfreundlichkeit verbarg. Ich hielt mich im Hintergrund und wartete mit einer Maske der Gleichgültigkeit, bis wir wieder nach Hause fuhren. Ich habe ein deutliches Bild vor Augen: das doppelte Fliegengitter vor den Türen des inzwischen abgerissenen Pavillons, die Silhouette der einen Kiefer, die man durch das engmaschige Netz sehen konnte, und dahinter der Mond über dem Wasser. Und ich erinnere mich an die mit Wassertröpfchen beschlagene Limo in meiner Hand, denn das waren die Dinge, auf die ich mich konzentrierte, während meine Cousins sich um eine Person des anderen Geschlechts schlangen und unter dem Gewicht des Körperkontakts zu taumeln schienen.
    In besonderer Erinnerung ist mir eine Nacht geblieben, in der ich – es muss gegen elf gewesen sein – allein im Zimmer war und, die Arme um die Knie geschlungen, im Dunkeln auf dem Bett saß, umringt von Mandys Büchern und Mötley-Crüe-Postern, die sie an den Wänden hängen hatte, seitdem sie zwölf gewesen war. Neben mir stand das Fenster offen, und in der Ferne sah ich die Unterkunft der Mexikaner. Es war noch früh im Sommer; wir waren höchstens seit einer Woche auf der Farm, die Arbeiter aber bewohnten schon seit Mitte April, wenn die harte Arbeit auf dem Feld und die Pflege der Plantagen begannen, ihre niedrige, langgestreckte Baracke und Dolores ihren Wohnwagen. Mehrere Fenster waren erleuchtet, und ihr warmes gelbes Licht warf Rechtecke auf den Boden neben den Planken der Außenwand. Ich wusste, hinter welchem Fenster Teo schlief, weil er, wenn er sich zur Arbeit in den Kirschplantagen verspätet hatte, einfach das Fliegengitter aushängte und über den Fenstersims kletterte, statt die ganze Baracke entlang bis zur Tür zu laufen. Dieser Ausstieg hatte etwas Unbeholfenes, über das ich lächeln musste – es war so gar nichts Elegantes daran, ganz anders als an fast allen seinen sonstigen Bewegungen. Im Lauf des Tages bekam ich ihn immer wieder mal kurz zu Gesicht, etwa wenn er, das T-Shirt als Schweißband um den Kopf gewickelt, mit feucht schimmernder Haut in den Bäumen arbeitete. Er stand auf seiner

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