Der Schmetterlingsthron
zischte durch die Luft, Jorian zuckte zurück und entging dem Hieb um Haaresbreite. Der Schwung des Schlages riss Boso halb herum. Ehe er das Gleichgewicht wiedererlangen konnte, trat Jorian vor und versetzte seinem Gegner einen heftigen Stoß mit dem Knie gegen die rechte Niere. Dann schob er sich hinter den Mann, hakte ihm den Schwertriemen über den Kopf und zog zu.
Boso öffnete den Mund, doch nur ein leises Zischen war zu hören. Mit hervortretenden Augen stampfte er und fuchtelte mit den Armen, um an seinen Gegner heranzukommen. Schnell ließ seine Gegenwehr nach, und sein Gesicht wurde blau. Er klammerte sich an den Rand eines Tisches und glitt schließlich zu Boden.
In diesem Augenblick flog die Tür auf, und mehrere Gestalten drängten herein, allen voran Karadur mit seinem auffälligen Turban. In seiner Begleitung befanden sich eine große, grauhaarige Frau in einem abgetragenen schwarzen Kleid und eine Nachtpatrouille; drei Soldaten mit Hellebarden und ein Offizier.
»Was ist hier los? Wer ist das?«
Rhuys antwortete: »Boso, mein ehemaliger Rausschmeißer. Er hat sich mit einem Gast gestritten und wurde vertrimmt.«
»Hat er allein schuld?«
»Soweit ich weiß.«
Der Offizier wandte sich an Jorian. »Wollen Sie Anklage gegen den Mann erheben?«
Vanora hielt Bosos Kopf, der in ihrem Schoß ruhte, und träufelte ihm Wein auf die Lippen.
»Ich würde ihn nicht ins Gefängnis schicken, Jorian«, sagte Karadur.
»Nikko, bitte.«
»Aber ja, wie dumm von mir! Lass ihn nicht ins Gefängnis bringen. Du hast ihn schon genug gestraft. Entwaffne ihn mit deiner Freundlichkeit.«
»Das ist ja hübsch. Und wenn er sich nachher mit seiner Keule wieder auf mich stürzt? Womöglich möchtest du, dass ich ihm gleich neue Arbeit besorge, was?«
»Eine großartige Idee!« Karadur klatschte in die Hände und wandte sich an Rhuys. »Wozu ist der Mann nütze, außer zum Rausschmeißer?«
»Zu nichts! Er ist zu dumm«, sagte der Wirt. »Höchstens als Schwerarbeiter wäre er geeignet.«
Nun schaltete sich die grauhaarige Frau ein. »Ich kann einen kräftigen Mann gebrauchen, der nicht zu helle im Kopf ist. Er kann im Garten und im Haushalt arbeiten und mich gegen die Flegel schützen, die mich von Zeit zu Zeit ›Hexe‹ schimpfen!«
»Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Eure Bekanntschaft zu machen, Madam«, sagte Jorian. »Ich bin Nikko aus Kortoli.«
»Und ich Goania, Tochter des Aristor.« Sie beugte sich vor und schüttelte Bosos Schulter. »Steh auf, Mann! Du hast deine Stellung verloren.«
»Was, meine Stellung?«
»Sicher. Willst du für mich arbeiten – für dasselbe Geld?«
Boso fuhr sich mit der Hand über das Kinn. »Aber zuerst will ich diesem elenden Uhrmacher zeigen …«
»Du wirst nichts dergleichen tun. Setz dich hin und behandle einen Freund, wie es sich geziemt!«
»Ich lasse mir von einer Frau nichts vorschreiben … Der soll ein Freund sein?«
»Aber ja. Er hätte dich ins Gefängnis schicken können, hat es aber nicht getan. Also keinen Streit mehr.«
Boso starrte Jorian düster an, spuckte auf den Boden und murmelte etwas vor sich hin. Aber er ließ sich von Vanora auf die andere Seite des Raums führen, wo er einen Krug Bier trank und seinen wunden Hals betastete.
Jorian, Karadur und Goania ließen sich in der gegenüberliegenden Ecke nieder. Jorian fragte Karadur: »Wo hast du gesteckt, bei den neunundvierzig mulvanischen Höllen? Wir sind schon stundenlang hier.«
»Ich war in der Bibliothek des Großen Herzogs«, sagte Karadur, »und war so … äh … absorbiert, dass ich ganz die Zeit vergaß. Aber dir scheint es schlecht ergangen zu sein. Du hast abgenommen – nicht, dass du das nicht vertragen könntest.«
»Mir ist es wirklich übel ergangen – ich musste Rhithos töten …«
Mit lautem Ausruf beugten sich die beiden vor. »Sprecht leise, Herr Nikko«, sagte Goania. »Ich kenne Euren wahren Namen, halte es aber für unklug, ihn hier zu gebrauchen, es sei denn, Ihr möchtet, dass Euch der Schänkenwirt die Xylarer auf den Hals schickt. Berichtet, wie es zu dem Unglück kam.«
Jorian erzählte seine Geschichte. »Wir folgten also Vanoras Wegen nach Othomae, und hier sind wir. Der Esel steht hinten im Stall.«
»Wie war das Mädchen als Reisebegleiterin?« fragte Goania.
»Oi!« Jorian rollte genießerisch mit den Augen. »Sie hat sich einmal eine betrunkene Schlampe mit einer heißen Spalte genannt – verzeiht, Madam –, und ich fürchte, da hat sie absolut die
Weitere Kostenlose Bücher