Der Schmetterlingsthron
Wahrheit gesprochen. Da sie kein Hehl von ihrer Zuneigung zur körperlichen Liebe macht, beschmutze ich damit nicht das Ansehen einer Frau. Tag für Tag stritten wir und vertrugen uns wieder. Jede Nacht stellte sie ihre Ansprüche, und dann erzählte sie von einem früheren Liebhaber, der ihren Worten zufolge dreimal konnte, wo ich nur einmal zur Stelle war. Als ich noch König war, so darf ich sagen, habe ich fünf Frauen zufrieden gestellt; doch hier wurde ich nicht mal mit einer fertig. Auch ist sie sehr unvorsichtig mit ihren Verhütungssprüchen. Naja, ich bin der größte Narr der Welt, mich in so etwas zu verlieben, aber so ist es nun mal.«
»Nach Euren Worten scheint sie ja kaum berückend zu sein«, sagte Goania. »Wie kommt es nur, dass Ihr, der Ihr Euch in einem ganzen Königreich umtun konntet, an einer so groben Dirne Gefallen fandet?«
Jorian kratzte sich den neuen Bart. »Eine Art freudige Pein ist es. Sie hat so etwas an sich – eine entwaffnende Ehrlichkeit, eine ungezwungene Lebendigkeit und eine Intelligenz, die – wäre sie nur kultiviert – bei Gelehrten mithalten könnte … Bei guter Laune macht sie mir mehr Spaß als ein ganzer Käfig Affen. Und seit wann wird die Liebe von rationalen Erwägungen gesteuert? Trotzdem haben mich die letzten Tage kuriert, aber wenn sie jetzt herüberkäme und mich anflehte und mir schmeichelte und mir verspräche, nüchtern zu bleiben, wäre ich wieder Wachs in ihren Händen – obwohl ihre Versprechungen nicht viel wert sind. Dank Zevatas, sie scheint jemanden gefunden zu haben, der ihrem Geschmack eher entspricht.«
Goania blickte in die Ecke hinüber, wo Boso und Vanora berauscht schlummerten; der Kopf des Mädchens ruhte an der Schulter des Mannes. »O Karadur, du solltest den jungen Mann sofort aus Othomae fortschaffen, ehe es sich das Mädchen anders überlegt. Kennst du Mitglieder unseres Ordens in Vindium?«
»Ich habe im letzten Jahr auf dem Weg nach Xylar bei Porrex übernachtet. Ein angenehmer Kollege – so freundlich und zuvorkommend.«
»Er ist auch heimtückisch – nimmt dich vor ihm in acht!«
»Oh, ich bin sicher, einem guten Manne wie ihm kann man trauen.«
»Warum schaut Ihr nicht in die Zukunft, um zu sehen, wie unser Besuch bei Zauberer Porrex ausgeht?« fragte Jorian.
Goania schüttelte den Kopf. »Die Beschäftigung mit der Zauberei lässt in die Lebenslinie des Zauberers zu viele Faktoren aus anderen Ebenen und Dimensionen einfließen. Ich vermag etwas über das Glück eines Laien festzustellen wie Ihr es seid, Herr Nikko, nicht aber bei den Doktoren Karadur und Porrex.«
»Nun, dann sagt mir, was mein Schicksal ist!«
»Gebt mir Eure Hand. Wann und wo wurdet Ihr geboren?«
»In Ardamai, Kortoli, am 15. des Monats des Löwen, im 12. Jahr des König Fealin II, gegen Sonnenaufgang.«
Goania untersuchte Jorians Handfläche und überlegte eine Weile. Dann hielt sie ihren Weinkelch hoch, so dass sie die Reflexion des Lichts im Wein sehen konnte. Mit der anderen Hand vollführte sie komplizierte Bewegungen über dem Kelch und flüsterte leise vor sich hin. Schließlich sagte sie:
»Nehmt Euch in acht vor einem Schlafzimmerfenster, einem freundlichen Mann und einem tigerköpfigen Gott.«
Jorian kannte die vagen Vieldeutigkeiten von Orakeln und drang nicht weiter in die Zauberin. Karadur sagte: »Und jetzt, Madam, eh’ ich es vergesse, – hast du mitgebracht, was du mir zusagtest?«
Goania kramte in ihrer Tasche herum und legte ein Päckchen auf den Tisch. »Das Pulver der Zwietracht – Pollen des fleckigen Feuerkraut, zu einer Zeit gesammelt, da der Rote Planet in Konjunktion mit dem Wolf stand. In eine Gruppe von Männern geblasen, beginnen sie sofort zu streiten und zu kämpfen.«
»Seid bedankt, Madam Goania. Dies könnte uns in Trimandilam sehr von Nutzen sein.«
Die Einwohner Vindiums feierten ihr Erntefest, das Fest der Geister, indem sie sich als übernatürliche Wesen verkleideten und durch die Straßen tanzten. Da nicht gearbeitet wurde, streiften kostümierte Vindiner bereits lang vor Sonnenuntergang durch die Stadt. Noch vor dem Abendessen paradierten sie in den Straßen auf und ab und bewunderten gegenseitig ihre Kostüme und versuchten zu erraten, welche Persönlichkeiten sich hinter den besonders prunkvollen Wamsen verbargen. Die Hauptereignisse des Festes, die Parade, das Tanzen und Singen und der Kostümwettbewerb – waren für später vorgesehen.
Jorian und Karadur trafen vor der Stadt ein, als die
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