Der Schnee war schmutzig
Brust voller Orden hatte. Er hatte zwei Frauen bei sich. Ich weiß nicht, worüber er mit ihnen sprach. Ich war anderweitig beschäftigt. Jedenfalls lachten sie alle sehr laut. Dann hat er seine Brieftasche herausgezogen, wahrscheinlich, um zu zahlen. Die Frauen haben sie ergriffen und mit ihr gespielt. Sie waren alle drei betrunken. Die Frauen reichten sich Papier und Fotos. Ich stand an der Theke. Da sah ich plötzlich einen Kerl aufstehen, den ich gar nicht beachtet hatte, irgendeinen Zivilisten, wie man sie überall auf der Straße sieht. Er war nicht einmal gut angezogen. Er ist auf den Tisch zugegangen, und der Oberst hat ihn mit einem verlegenen Lächeln angesehen. Der andere hat ein Wort gesagt, ein einziges Wort nur, und da ist der Oberst mit einem Ruck aufgesprungen und hat strammgestanden. Dann hat er den Frauen seine Brieftasche abgenommen und hat gezahlt. Er ist geradezu zusammengeschrumpft. Er hat seine Freundinnen ohne jede Erklärung sitzenlassen und ist mit dem Zivilisten weggegangen.«
»Was hat das mit mir zu tun?« hat Frank gebrummt.
»Es heißt, man habe ihn am nächsten Tag auf dem Bahnhof gesehen und er sei mit unbekanntem Ziel abgefahren. Und ich will dir sagen, was es zu bedeuten hat. Es gibt Leute, die mächtig wirken und es vielleicht im Augenblick auch sind. Aber nie, merk dir das gut, sind sie so mächtig, wie sie vorgeben. Es gibt immer welche, die noch mächtiger sind als sie. Aber gerade die kennt man im allgemeinen nicht.
Du arbeitest mit einer Dienststelle zusammen, wo jeder dir die Hand drückt, und glaubst, du seist sicher. Aber im gleichen Augenblick ist man in einem anderen Büro, das nichts mit dem ersten zu tun hat, damit beschäftigt, eine Akte von dir anzulegen.
Sie haben mehrere Abteilungen, wenn du genau wissen willst, was ich meine. Und wenn du dich mit einer Abteilung gut stehst, bedeutet das noch nicht, daß du dich in eine andere wagen kannst.«
Frank hat sich am nächsten Morgen daran erinnert, und es hat ihn um so mehr beunruhigt, als er einen Kater hatte. Es wird bei ihm zu einer Gewohnheit. Jeden Morgen gelobt er sich, nicht mehr soviel zu trinken, aber dann fängt er doch sofort wieder damit an, nur weil er einen Schnaps braucht, um sich Schwung zu geben. Eine Beziehung zwischen Timos Worten und einer Bemerkung Lottes, auf die er gar nicht geachtet hatte, wird ihm plötzlich bewußt. »Man spürt, daß bald Weihnachten ist«, hat sie gesagt. »Man sieht lauter neue Gesichter.«
Das bedeutet, daß ihre Kundschaft wechselt, zumindest was die Besatzungsmacht betrifft. Für sie ist das jedesmal eine unangenehme Zeit, denn sie lebt dann in ständiger Unruhe. Alle drei oder sechs Monate – im allgemeinen zu den großen Festen, aber vielleicht ist das nur ein Zufall – wechselt das Personal bei den militärischen und zivilen Dienststellen. Die einen kehren in ihre Heimat zurück, und andere kommen von dort, die sich erst eingewöhnen müssen und deren Charakter man noch nicht kennt. Man muß wieder von vorn anfangen. So oft ein Neuer klingelt, glaubt Lotte ihre Maniküresalonkomödie spielen zu müssen, und sie beruhigt sich erst dann, wenn der Kunde den Vornamen des Kameraden nennt, der ihn geschickt hat.
Ohne eigentlich zu wissen warum, möchte Frank nicht, daß sein General fortgeht. Er nennt ihn seinen General, obwohl er ihn nicht kennt und ihn nie gesehen hat. Kromer dagegen kennt ihn. Seine Leidenschaft für Uhren hat etwas Naives und Beruhigendes. Frank ist darin wie seine Mutter. Er hat es lieber mit Menschen zu tun, die eine Leidenschaft haben. Wenn man zum Beispiel Ottos Laster kennt, ist es unmöglich, noch Angst vor ihm zu haben. Das ist übrigens einer, dessen Frank sich eines Tages noch wird bedienen können. Er würde bestimmt viel dafür geben, daß nicht manches von dem, was er tut, ruchbar wird.
Die Sonne scheint wieder, und es friert. Der letzte Schnee hat noch nicht die Zeit gehabt, schmutzig zu werden, und in einigen Vierteln sind von der Stadtverwaltung angestellte Arbeitslose noch damit beschäftigt, am Rand der Bürgersteige den Schnee zu leuchtend weißen Haufen zu schaufeln.
Er hat das Gefühl, daß Kromer ihm ausweicht. Allerdings geht auch er Kromer aus dem Weg. Warum beunruhigt er sich also darüber? Und was heißt überhaupt: er beunruhigt sich – da er doch vollkommen ruhig ist und völlig freiwillig und ganz bewußt alles tut, um das Schicksal herauszufordern?
Zum Beispiel geht er zu Kamp. Unter den Stammkunden des kleinen
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