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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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welches hat, oder er wird ein paar Bücher verkaufen, damit sie einen Weihnachtsbaum hat. Sie werden den alten Wimmer bei sich haben, der jetzt seinen richtigen Beruf gefunden hat: er ist Mädchen für alles bei ihnen.
    »Woran denkst du?« fragt sein Bekannter.
    Frank zuckt zusammen.
    »Ich?«
    »Nicht der Papst.«
    »An gar nichts. Entschuldige.«
    »Du sahst eben so aus, als wolltest du die Musiker erdrosseln.«
    »So?«
    Er hat sie gar nicht gesehen. Er hatte sie ganz vergessen.
    »Sag mal, ich möchte dich um etwas bitten, aber ich wage es nicht.«
    »Wieviel willst du haben?«
    »Es ist nicht so, wie du glaubst. Es ist nicht für mich, sondern für meine Schwester. Sie sollte schon lange operiert werden. Man hat mir gesagt, du hättest die Taschen voll Geld.«
    »Was hat deine Schwester denn?«
    Und Frank denkt voller Ironie daran, daß sie ja noch nicht bei Lotte war.
    »Etwas an den Augen. Wenn sie nicht operiert wird, erblindet sie.«
    Der Bekannte ist ungefähr seines Alters, aber weich und schüchtern. Er gehört zu denen, die dazu geboren sind, unterzugehen.
    Sofort stehen ihm Tränen in den Augen.
    »Wieviel brauchst du?«
    »Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, wenn du mir …«
    Wie ein Zauberkünstler holt Frank sein Banknotenbündel heraus. Es ist für ihn zu einem Spiel geworden.
    »Wenn du dich bedankst, bist du noch dämlicher, als ich gedacht habe.«
    »Frank, alter Freund …«
    »Hast du nicht verstanden? Laß uns gehen.«
    Ist es ein Zufall, daß der Kerl aus dem zweiten Stock ein Stück weiter wieder vor einem Schaufenster steht? Aber diesmal ist es ein Schaufenster, in dem Puppen ausgestellt sind. Er hat eine kleine Tochter. Weihnachten steht vor der Tür. Wenn man ihn fragte, könnte er antworten, es sei ganz natürlich, daß er sich die Schaufenster betrachte.
    Soll Frank ihn einfach fragen, was er will, und ihm notfalls seinen grünen Ausweis oder seinen Revolver unter die Nase halten?
    Im Grunde haben Timos Worte doch Eindruck auf ihn gemacht. Er setzt seinen Weg fort und dreht sich um. Der Mann folgt ihm nicht. Nur Kropetzki weicht nicht von seiner Seite, und er hat alle Mühe, ihn loszuwerden.
    Wenn das Schicksal auf ihn lauert, so wird es doch nicht heute abend zuschlagen. Er kann noch in der Stadt essen und Kromer treffen – Kromer ist besorgt und etwas zurückhaltend –, kann in drei verschiedenen Lokalen etwas trinken und an einer Theke lange mit einem Unbekannten sprechen, ohne daß sich etwas ereignet.
    Auf dem Weg von Timo zu seinem Haus, der ihn an der Sackgasse neben der Gerberei vorbeiführt, geschieht auch nichts. Es wäre aber auch komisch, wenn sich das Schicksal gerade diese Ecke aussuchte, um ihm aufzulauern. Auf solche Gedanken kommt man um drei Uhr morgens, wenn man zuviel getrunken hat.
    Bei Hoists brennt Licht. Vielleicht ist es gerade die Zeit für die Umschläge oder die Tropfen oder Gott weiß was sonst. Er horcht an der Tür. Sicherlich hat man seinen Schritt gehört. Holst weiß, daß er auf dem Treppenabsatz steht. Und Frank bleibt absichtlich eine Weile stehen und preßt das Ohr an den Türrahmen.
    Holst macht aber nicht auf. Er rührt sich nicht, der Dummkopf. Frank bleibt so nichts anderes übrig, als schlafen zu gehen. Wenn er nicht so müde wäre, würde er sich mit Anny vergnügen, nur weil sie das ärgert. Minna widert ihn an. Sie ist albern in ihn verliebt. Sie wird wohl manchmal heulen, wenn sie an ihn denkt. Vielleicht betet sie sogar für ihn. Und sie schämt sich ihres kranken Unterleibs.
    Frank geht allein schlafen. Im Ofen ist noch etwas Glut, und er starrt lange auf die rötliche Scheibe an der Ofentür.
    Dummkopf!
    Und am nächsten Morgen, als er wieder einmal einen Kater hat, geschieht es. Er hat das Schicksal überall gesucht, aber es war nirgends, wo er es vermutete.
    Wieder ein Zufall: in der Wohnung gibt es nichts mehr zu trinken. Beide Flaschen sind leer. Lotte vergißt seit einigen Tagen, ihm zu sagen, wenn der Vorrat zur Neige geht.
    Er muß also zu Timo gehen. In solchen Fällen sucht man ihn am besten morgens auf. Timo verkauft nicht gern über die Straße, selbst nicht zu hohen Preisen. Er behauptet immer, daß er dabei etwas verliere, daß gute Flaschen mehr wert seien als schlechtes Geld.
    Frank hat Durst. Lotte hat sich die Haare aufgewickelt. Sie hat einen hellen weiten Kittel angezogen, um mit Minna zusammen die Wohnung rein zu machen, während Anny sich nicht einmal rührt, wenn man zwischen ihren Beinen kehrt. Sie sitzt

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