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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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unbeteiligt da wie eine Göttin, weder in einen Traum noch in Nachdenken versunken, sondern in die Lektüre ihrer Zeitschrift, und sie läßt dabei die Asche ihrer Zigarette auf den Boden fallen.
    »Kauf nicht zuviel auf einmal, Frank.«
    Merkwürdig, beinahe hätte er seinen Revolver in der Wohnung gelassen, nicht dessentwegen, was Timo ihm gesagt hat sondern weil er ihm in der Tasche zu schwer ist. Er hat es nur deshalb nicht getan, weil es ihm wie eine Mogelei vorgekommen wäre.
    Er will nicht mogeln.
    Er ist Herrn Wimmer begegnet, der mit einem Kohlkopf und Steckrüben in seinem Einkaufsnetz die Treppe heraufkam, und Wimmer ist stumm dicht an ihm vorbeigegangen.
    Dummkopf!
    Er erinnert sich, daß er im zweiten Stock auf dem Treppenabsatz stehengeblieben ist, um sich seine Morgenzigarette anzustecken – sie schmeckte ihm nicht, wie immer, wenn er am Tage zuvor zuviel getrunken hat –, und daß er unwillkürlich in den Flur links geblickt hat. Er hat nichts gesehen. Der Flur ist leer. Nur am Ende steht ein Kinderwagen. Man hört ein Baby wimmern.
    Als Frank unten an der Loge des Portiers vorbeigehen will, öffnet sich die Tür.
    Er hat nie daran gedacht, daß es so geschehen könnte. Ja, er merkt zuerst gar nicht, daß etwas geschieht. Der Portier sieht aus wie jeden Tag und hat auch seine Mütze auf. Neben ihm steht ein ziemlich unauffälliger Mann, der dennoch wie ein Ausländer wirkt und einen zu langen Mantel trägt.
    In dem Augenblick, da Frank vorübergehen will, tippt der Mann an den Rand seines Huts, als wolle er sich bei dem Portier bedanken, folgt Frank und holt ihn ein, ehe er die Mitte des Bürgersteigs erreicht hat.
    »Würden Sie bitte mitkommen?«
    Das ist alles. Er zeigt etwas, das er in der hohlen Hand hat, einen Ausweis in einer Cellophanhülle mit einem Foto und Stempeln. Was für ein Ausweis ist das? Frank weiß es nicht.
    Sehr ruhig und etwas steif sagt er: »Gut.«
    »Geben Sie ihn mir.«
    Er hat nicht die Zeit, sich zu fragen, was er dem Mann geben soll. Der hat sofort die Hand in die richtige Tasche gesteckt, zieht den Revolver heraus und läßt ihn in seinem Mantel verschwinden.
    Wenn in diesem Augenblick Leute sie beobachtet haben – Frank weiß es nicht –, haben sie die Szene gewiß nicht verstanden. Am Rand des Bürgersteigs steht auch kein Auto. Sie gehen nebeneinander zur Haltestelle der Straßenbahn und warten wie jedermann auf die Straßenbahn, ohne sich auch nur anzusehen.
4
    Es ist der achtzehnte Tag. Er hält durch. Er wird durchhalten. Denn er hat entdeckt, es kommt allein darauf an, daß man durchhält und daß er sie dann bezwingen wird. Aber geht es wirklich darum? Das ist eine andere Frage, die er zur gegebenen Zeit beantworten wird. Er hat viel nachgedacht. Er hat zu viel nachgedacht. Auch Nachdenken ist gefährlich. Man muß sich einer strengen Disziplin unterwerfen. Wenn er daran denkt, daß er sie bezwingen wird, dann bedeutet das einfach, daß er wieder herauskommt. Und der Ausdruck ›herauskommen‹ beschränkt sich nicht auf den Ort, an dem er sich befindet.
    Es ist seltsam, wie man draußen Worte gebraucht, ohne sich um ihren wirklichen Sinn zu kümmern. Gewiß, Frank hat nicht viel gelernt, aber das trifft auf sehr viele andere ebenso zu, auf die meisten sogar, und er stellt jetzt fest, daß er sich immer mit Worten begnügt hat, die nur annähernd stimmten.
    Diese Frage nach dem Sinn der Worte hat ihn zwei Tage lang beschäftigt. Vielleicht wird er noch einmal darauf zurückkommen.
    Jedenfalls, es ist der achtzehnte Tag, und das ist eine absolute Gewißheit. Er wacht darüber, daß diese Gewißheit absolut bleibt. Er hat sich eine fast unberührte Stelle der Wand ausgesucht, und jeden Morgen ritzt er mit dem Daumennagel einen Strich ein. Das ist schwieriger, als man denkt. Nicht den Strich einzuritzen, obwohl der Nagel schon ganz kurz geworden ist, sondern nur einen Strich zu machen und sicher zu sein, ihn eingeritzt zu haben. Die Wand ist weißgetüncht, was die Sache erleichtert. Aber es war nicht einfach, eine saubere Stelle zu finden, da vor Frank schon viele andere hier gewesen sind.
    Auch darf man nicht – das hat er ebenfalls entdeckt – sich dieses und jenes zu genau fragen, weil man hier zum Zweifeln neigt, und er weiß, wer zu zweifeln beginnt, ist verloren.
    Er wird das Problem ganz allein lösen, vorausgesetzt, daß er sich nicht gehenläßt und nicht zu träumen anfängt. In gewissen Fragen wird er sehr genau. Am letzten Morgen, den er draußen

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