Der Schneesturm
hierbleiben, der Herr?«, fragte der Krächz schüchtern.
»Scher-r-r dich! Du hast das Pf-ferd auf dem Jahrmarkt vergeigt. Arschgeige!«, brüllte der Müller, während er seiner Gemahlin Brüste mit den Stiefeln traktierte.
»Machen Sie keine Dummheiten und bleiben Sie!« Die Müllerin goss Teesud aus dem chinesischen Kännchen in das Glas. »Morgen früh ist der Sturm abgeklungen, und Sie können flitzen.«
»Und was, wenn er nicht abgeklungen ist?« Der Doktor sah den Krächz an, als wäre der für das Wetter verantwortlich.
»Wenn nich, fährt sichs bei Licht trotzdem leichter«, erwiderte der Krächz, bevor er sich verschluckte und einen Hustenanfall bekam.
»Er hat das Pf-ferd entwisch-schen lassen!«, ließ derMüller nicht locker. »Du gehörst h-hinter Gitter! Pferdedieb!«
»Bleiben Sie.« Die Müllerin stellte das Glas Tee vor den Doktor und goss nun dem Krächz ein.
»Dann könnten die Pferdis auch besser verschnaufen.«
»Ver-r-recken solln die und nich versch-schnaufen!«, brüllte der Müller.
Die Müllerin lachte, dass ihr der Busen hüpfte und der Mann herumgeschleudert wurde wie bei hohem Wellengang.
Vielleicht sollte ich tatsächlich bleiben?, dachte der Doktor.
Seine Augen suchten die sorgfältig kalfaterten Wände nach einer Uhr ab, er fand keine und wollte nach der Taschenuhr kramen, da fiel sein Blick auf die frei schwebenden kleinen gelben Leuchtziffern über einem auf der Nähmaschine liegenden Metallring: 19:42.
Man könnte versuchen, bis Mitternacht hinzufinden. Aber was, wenn wir uns verirren, wie sie sagt?
Er nippte vom heißen Tee.
Besser hier übernachten und in aller Frühe aufbrechen. Wenn der Sturm bis dahin aufhört, dürften wir es in anderthalb Stunden schaffen. Kriegen sie ihre Impfung eben acht Stunden später. Das wäre lässlich. Ohne böse Folgen. Ich schreibe einen Bericht …
»Davon, dass Sie erst morgen dort ankommen, geht die Welt nicht unter«, sprach die Müllerin, als hätte sie seinen Gedanken erraten. »Trinken Sie noch ein Schnäpschen.«
An seiner Unterlippe nagend, schaute der Doktor noch eine Weile auf die schwebenden Leuchtziffern und dachte nach.
»Bleiben wir?«, fragte der Krächz, im Kauen innehaltend.
»Von mir aus«, sagte Doktor Garin mit einem verdrossenen Seufzer. »Bleiben wir.«
Der Krächz nickte. »Na Gott …«
»… sei Dank!« Die Müllerin sang es fast, während sie die Schnapsgläser füllte.
»Und ich? Und ich?«, rappelte der Müller im Busen.
Sie ließ ein paar Tropfen aus der Flasche in den Fingerhut rutschen und reichte ihn dem Müller.
Garin, der Krächz und der Müller tranken.
Während der Doktor ein Stück Schinken verspeiste, betrachtete er die Stube mit anderen Augen: nicht mehr als Rastplatz, sondern als Nachtlager. Wo sie uns wohl unterbringen wird?, fragte er sich. In irgendeinem Anbau vielleicht. Zu dumm, dass wir hierbleiben müssen. Dieser verfluchte Schneesturm …
Der Krächz hatte sich schon entspannt und döste vor sich hin. Ihm war gleich viel wärmer. Wie froh er war, nicht durch die Finsternis irren und ewig nach der Straße suchen zu müssen! Sich die Qual zu ersparen und den Pferden ebenso, die die Nacht in des Müllers Stall verbringen durften, im Warmen. Der Krächz würde ihnen das Säckchen Hafergrütze spendieren, das er für den Notfall immer unter dem Sitz liegen hatte, und selbst käme er auch zum Schlafen, aller Voraussicht nach auf dem Ofen, da würde er es warm haben und vor dem Ekel von Müller in Sicherheit sein, und morgen in aller Frühe würden sie weiterfahren, er würde den Doktor in Dolgoje abliefern, die fünf Silberrubel von ihm kassieren und nach Hause fahren.
»Na schön, vielleicht hat es auch sein Gutes«, sagte der Doktor, wie um sich selbst zu beruhigen.
»Unbedingt«, sagte die Müllerin und lächelte ihn an. »Ich bringe Sie oben unter, Kosma kommt auf den Ofen. Oben ist es bei uns schön still und warm.«
»Ui, mir issda was eingesch-schlafen«, krähte derMüller, das trunkene Gesichtchen verziehend, und fasste sich ans rechte Bein.
»Du musst ins Bett!«, beschied ihm die Müllerin und wollte ihn sich von der Brust nehmen; in dem Moment ließ der Müller den Fingerhut fallen, der über den großen Leib der Müllerin kollerte und unter den Tisch fiel.
»Da siehst du, Semjon Markowitsch, jetzt hast du auch noch deinen Becher verloren.« Liebevoll setzte die Müllerin ihren Mann vor sich auf die Tischkante, als wäre es ihr Kind.
»Hä? … wiewas?«,
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