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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Fanddurch den Flur zur Stubentür … Als er die Stube betrat, war auch hier Schummerlicht eingekehrt, die Lampe brannte nicht mehr, nur eine Kerze auf dem Tisch.
    »Ich habe Ihnen das Bett oben bezogen«, ertönte die Stimme der Müllerin, und sie kam offensichtlich schon vom Lager hinter dem Vorhang: »Geruhsame Nacht!«
    Der Krächz und der Müller schnarchten immer noch um die Wette. Jetzt hatte sich das Zirpen einer echten Grille hinzugesellt, was einen lustigen Wechselgesang ergab.
    Der Doktor seufzte und wusste nicht weiter. Gern hätte er die Müllerin noch irgendetwas gefragt, einen Vorwand gefunden, um zu bleiben, doch schnell wurde ihm klar, wie blöd das aussehen musste – und wie blöd und abgeschmackt das alles überhaupt war, was ihm da unversehens durch den Kopf spukte. Der Doktor schämte sich.
    Idiot!, beschimpfte er sich im Stillen und sagte laut: »Gute Nacht!«
    »Stoßen Sie sich nicht auf der Treppe, leuchten Sie sich!«, hörte er es leise aus der finsteren Tiefe der Stube sagen.
    Wortlos nahm der Doktor die Kerze vom Tisch und ging nach oben. Die aus dem Flur hinaufführende Stiege war schmal und knarrte unter seinen Stiefeln.
    Oben gab es zwei Räume. Im vorderen standen Flechtkörbe, Truhen und Schachteln beisammen, hingen Zwiebel- und Knoblauchzöpfe, Girlanden von getrockneten Birnen. Ein intensiver Gartengeruch ging von alledem aus, der eine besänftigende Wirkung hatte. Der Doktor durchquerte diesen Raum und ging auf die einen Spalt offen stehende hintere Tür zu. Dort befand sich ein Zimmerchen mit kleinem Fenster, Bett, Tisch, Stuhl und Kommode. Das Bett war bereitet.

    Der Doktor stellte die Kerze auf dem Tischchen ab, schloss die Tür und begann sich zu entkleiden.
    Auf dem Fensterbrett entdeckte er eine tönerne kleine Kuh. Schlafenszeit, das Kälbchen schlummert …, fiel ihm das alte Kinderlied ein. Fürwahr eine seltsame Familie!, dachte er. Aber vielleicht auch gar nicht seltsam, sondern völlig normal in heutiger Zeit … Sie leben gut, sind wohlhabend … Wie lange schon? Wie alt wird sie überhaupt sein? Dreißig?
    Er dachte an ihre ruhigen Hände, das Hütchen auf dem kleinen Finger, den Blick ihrer braunen Augen.
    »Guten Abend, schöne Müllerin
Anmerkung
«, sprach er vor sich hin, während er das Hemd über den Kopf zog. Nadine liebte Schubert über alles.
    Man sollte seine Prinzipien niemals preisgeben, so dachte er. Sich nicht unter sein Niveau begeben, nicht in die Enge treiben lassen, unter Zugzwang setzen wie beim Schachspiel. Bloß keine Zwänge! Schlimm genug, wenn man sich im Amte mit Notbehelfen abfinden muss. Das Leben bietet einem die Wahl. Man sollte immer den Weg wählen, der einem selbst am organischsten erscheint. Nicht dass man sich hinterher der eigenen Willensschwäche schämen muss. Eine Epidemie ist das Einzige, was einem keine Wahl lässt …
    Er stand nun in Unterzeug da. Nahm den Kneifer ab, legte ihn auf den Tisch. Blies die Kerze aus und kroch ins kalte Bett.
    Erst mal schlafen! … Der Doktor zog sich die Decke bis unter die Nase. Und morgen zeitig los. So zeitig wie möglich.
    Da klopfte es leise an die Tür.
    »Ja?«, rief der Doktor und hob den Kopf.

    Die Tür ging auf, eine brennende Kerze wurde sichtbar. Der Doktor nahm den Kneifer vom Tisch, hielt ihn sich vor die Augen. Herein schlüpfte, lautlos auf nackten Sohlen, die Müllerin im langen weißen Nachthemd, mit dem bunten Tuch über den Schultern. In der Hand hielt sie die Kerze und einen Krug.
    »Entschuldigen Sie, ich vergaß, Ihnen Wasser hinzustellen. Unser Schinken ist arg salzig, da wird es Sie zu trinken gelüsten in der Nacht.«
    Während sie sich vorbeugte, um den Krug auf dem Tisch abzustellen, rutschte ihr das gelöste Haar von den Schultern auf die Brust. Beider Blicke trafen sich. Das Gesicht der Müllerin erschien immer noch ganz gelassen. Sie blies die Kerze aus, richtete sich auf. Und verharrte so.
    Der Doktor warf den Kneifer auf den Tisch, schleuderte die Decke mit einem Ruck von sich, sprang auf und umarmte ihren warmen, weichen, großen Leib.
    »Na also«, hauchte sie und legte ihm die Hände auf die Schultern.
    Er zog sie zum Bett.
    »Ich mach noch schnell die Tür zu«, flüsterte sie ihm ins Ohr, wovon sein Herz zu hämmern anfing.
    Doch er wollte sie um nichts in der Welt wieder loslassen. Drängte gegen ihren Leib, drückte seine Lippen an ihren Hals. Die Frau roch nach Schweiß, Schnaps und Lavendelöl. Mit einem Ruck raffte er ihr Nachthemd, packte ihr

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