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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Kosma von ihm einen Fünfer. Also baute Kosma sich mit dem Fohlen bei den Weiden auf, wo die Zelte der Sattler anfingen, stand da und knackte Sonnenblumenkerne. Und dann kamen daplötzlich die Filmvorführer aus Chljupino und stellten zwei Empfänger auf, zwischen die wurde ein lebendiges Bild gespannt, und es war nicht nur lebendig, man konnte es sogar berühren: Delfine schwammen aus einem Empfänger in den anderen und ließen sich anfassen. Zuerst fanden sich die Kinder ein, später auch immer mehr Erwachsene, die es probieren wollten. Der Krächz band das Fohlen an eine Weide und gesellte sich zu der Menge, streckte die Hände aus und berührte einen Delfin. Das gefiel ihm außerordentlich. Der Delfin war glatt und kühl, er piepste freundlich. Das Meer war angenehm warm. Der Krächz drängte sich ganz nach vorn, bis das Meer ihm an die Brust reichte, und fasste an, was es anzufassen gab. Die Delfine tauchten aus dem einen Empfänger hervor und schwammen zu dem anderen. Der Krächz fasste sie an Bauch und Rücken, griff herzhaft zu, versuchte sie zu halten. Doch sie waren rutschig, entglitten seinen Händen. All das machte ihm großen Spaß, er gewann die Delfine schnell lieb. Und als der Filmvorführer das Bild abschaltete und mit der Mütze durch die Menge ging, warf der Krächz, ohne zu zögern, seinen Fünfer dort hinein. Dann fiel ihm das Fohlen wieder ein, er ging zurück zu der Weide, das Fohlen war verschwunden … Wawila hatte den Krächz damals quer über den ganzen Jahrmarkt gehetzt und ihm ein paar saftige Hiebe versetzt. Beim Kaufmann Rjumin flog Wawila raus. Das Fohlen tauchte nie wieder auf.
    Der Doktor erwachte von des Krächzens Stimme.
    »S’iss Zeit, der Herr.«
    »Was?«, brummte der Doktor, ohne die Augen zu öffnen.
    »Der Morgen graut.«
    »Lass mich schlafen.«

    »Ihr hattets doch gewöllt, dass ich Euch wecken komm.«
    »Lass mich.«
    Der Krächz ging wieder.
    Zwei Stunden später kam die Müllerin zum Doktor herauf, fasste ihn an der Schulter.
    »Zeit für Sie, Doktor.«
    »Was?«, brummte der Doktor, ohne die Augen zu öffnen.
    »Es ist schon elf.«
    »Elf?« Der Doktor öffnete die Augen einen Spalt, kam langsam zur Besinnung.
    »Sie müssen aufstehen«, sagte sie und lächelte ihn an.
    Der Doktor tastete nach dem Kneifer auf dem kleinen Tisch und steckte ihn sich ins zerknitterte Gesicht, schaute. Über ihn gebeugt stand die Müllerin: groß und prächtig gewandet, in einer pelzbesetzten Jacke, mit einer Kette lebend gebärender Perlen um den Hals, das Haar geflochten und um den Kopf gelegt, mit einem behaglichen Lächeln im Gesicht.
    »Elf, was soll das heißen?«, fragte der Doktor schon etwas ruhiger, denn inzwischen war ihm eingefallen, was in der Nacht geschehen war.
    »Kommen Sie Tee trinken.« Sie drückte kurz sein Handgelenk, drehte sich um und ging zur Tür hinaus. Den langen blauen Rock konnte man noch eine Weile rauschen hören.
    »Mist.« Der Doktor stand auf, kramte die Uhr hervor, sah nach.
    »Tatsächlich …«
    Er blickte zum Fenster. Tageslicht fiel herein.
    »Der Knallkopf hat mich nicht geweckt!«, brummte der Doktor, nachdem ihm nun auch der Krächz mit dem Elstergesicht wieder eingefallen war.

    Rasch zog er sich an und ging nach unten. In der Stube herrschte reger Betrieb: Awdotja rückte mit der Ofengabel einen großen Kessel in den eben angeheizten russischen Ofen, ihr Mann werkelte etwas auf einer Bank in der Ecke, die Müllerin thronte einsam hinten am Tisch. Der Doktor ging zum Waschbecken in der Ecke rechts vom Ofen, besprengte sein Gesicht mit kaltem Wasser, trocknete sich mit einem frischen Handtuch, das die Müllerin ihm extra hingehängt hatte. Putzte den Kneifer, betrachtete sich in dem kleinen runden Spiegel, fuhr über die Stoppeln an seinen Wangen.
    »Hm …«
    »Kommen Sie Tee trinken, Doktor«, meldete sich die kräftige Stimme der Müllerin aus der Tiefe der Stube.
    Platon Garin ging zu ihr.
    »Guten Morgen.«
    »Einen schönen guten Morgen«, erwiderte sie lächelnd.
    Der Doktor schlug vor der Ikone sein Kreuz und setzte sich zu Tisch. Auf dem stand derselbe Samowar, der Schinken lag auf dem Teller.
    Die Müllerin goss ihm Tee in eine große Tasse, die das Bildnis Peters des Großen zierte. Warf, ohne zu fragen, zwei Stückchen Zucker hinein.
    »Wo steckt mein Fuhrmann?«, fragte der Doktor, auf ihre Hände schauend.
    »Drüben im Gesindehaus. Er ist schon lange auf.«
    »Wieso hat er mich nicht geweckt?«
    »Keine Ahnung«, sagte sie und

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