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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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und den Streichhölzern ab, entzündete eine Zigarette und setzte sich zurück auf die Bettkante.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass du heraufkommst«, sagte er mit rauer Stimme.
    »Aber gewünscht hast du es dir?«, fragte sie lächelnd.
    »Gewünscht, ja«, nickte er, und es klang beinahe zerknirscht.
    »Siehst du. Ich auch!«
    Schweigend sahen sie einander an. Der Doktor rauchte, die Glut spiegelte sich im Glas seines Kneifers.
    »Lassen Sie mich auch mal«, bat sie.
    Er reichte ihr die Zigarette. Sie zog, hielt den Rauch eine Weile zurück, blies ihn dann behutsam aus. Der Doktor sah sie an. Plötzlich merkte er, dass ihm überhaupt nicht danach war, mit ihr zu reden.

    »Leben Sie allein?«, fragte sie, ihm die Zigarette zurückgebend.
    »Merkt man das?«
    »Schon.«
    Er kratzte sich die Brust.
    »Wir wurden vor drei Jahren geschieden.«
    »Haben Sie sie verlassen?«
    »Nein. Sie mich.«
    »Sagen Sie bloß!«, sagte sie und seufzte. In ihrer Stimme schwang Hochachtung.
    Sie sprachen eine Weile nicht.
    Dann fragte sie: »Hatten Sie Kinder?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Sie konnte nicht gebären.«
    »Ah ja … Ich hab eins geboren, das ist gleich gestorben.«
    Wieder schwiegen sie.
    Das Schweigen zog sich arg hin.
    Dann seufzte die Müllerin und setzte sich auf. Legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Ich geh dann mal.«
    Der Doktor schwieg.
    Die Müllerin schob sich vom Bett, der Doktor rückte beiseite. Sie ließ die dicken Füße zu Boden, stand auf, ordnete ihr Nachthemd.
    Der Doktor saß da mit der erloschenen Zigarette im Mund.
    Die Müllerin tat einen Schritt zur Tür. Er griff nach ihrer Hand.
    »Warte.«
    Sie stand einen Moment neben ihm, setzte sich wieder.
    »Bleib noch ein bisschen.«

    Sie wischte sich eine Strähne ihres Haars aus dem Gesicht. Der Mond war wieder verschwunden, das Zimmer in Finsternis versunken. Der Doktor umarmte die Müllerin. Sie strich ihm über die Wange.
    »Schwierig, so ohne Frau?«
    »Ich hab mich dran gewöhnt.«
    »Gebs Gott, dass Ihnen bald wieder eine gute Frau unterkommt.«
    Er nickte. Sie streichelte seine Wange. Der Doktor nahm ihre verschwitzte Hand und küsste sie.
    »Kommen Sie doch auf dem Rückweg noch mal vorbei«, raunte sie.
    »Das wird nicht gehen.«
    »Nehmen Sie einen anderen Weg?«
    Er nickte. Sie rückte näher, stieß ihn leicht mit ihrer Brust, gab ihm einen Kuss auf die Wange.
    »Ich muss. Mein Mann wird sonst böse.«
    »Der schläft doch.«
    »Er friert, wenn ich nicht da bin. Friert und wird wach. Dann greint er.«
    Sie stand auf.
    Der Doktor ließ sie gehen. Ihr Hemd raschelte in der Dunkelheit davon, die Tür ging knarrend auf und wieder zu, dann knarrten die Stufen der Stiege unter ihren nackten Füßen. Der Doktor zog eine Zigarette hervor, entzündete sie. Erhob sich, trat zum Fenster.
    »Guten Abend, schöne Müllerin
Anmerkung
«, sprach er, in den Himmel blickend, der dunkel über der verschneiten Ebene lag.
    Er rauchte die Zigarette zu Ende und drückte sie auf dem Fensterbrett aus, legte sich ins Bett und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

    Währenddessen schlief auch der Krächz tief und fest. Kaum dass er sich auf dem warmen Ofen ausgestreckt, ein Holzscheit unter den Kopf geschoben und die Flickendecke über sich gezogen hatte, war er entschlummert. Kurz zuvor noch, während er den Doktor mit der großen Nase und der kräftigen Stimme und die Müllerin miteinander plaudern hörte, fiel ihm der Spielzeugelefant ein, den sein seliger Vater ihm, dem sechsjährigen Kosma, einst vom Jahrmarkt mitgebracht hatte. Der Elefant konnte gehen, den Rüssel schwenken, mit den Ohren schlackern und ein engelländisches Lied singen:
    Laff mi tände, laff mi swit,
Näwwer lätt mi gou,
Ju häff mähd mai leif komplit,
End ei laff ju sou.

Und nach dem Elefanten musste er gleich noch an das Pferd denken, mit dem ihn der besoffene Müller gepiesackt hatte. Wawila hatte es ihm anvertraut, der selige Pferdeknecht vom Kaufmann Rjumin. Das Ganze trug sich auf dem Jahrmarkt von Pokrowskoje zu, Kosma war damals noch Junggeselle, aber der Name Krächz hing ihm schon an. Wawila versuchte seit dem Morgen, ein einjähriges Fohlen loszuschlagen, drehte unentwegt seine Runden mit ihm, kriegte es einfach nicht los, und das, obwohl Chinesen ebenso wie Zigeuner mit ihm feilschten, es war wie verhext. Schließlich bat er Kosma, das Fohlen so lange zu halten, wie er mal verschwinden müsse, den Magen zu füllen und die Därme zu leeren, wie er sagte. Dafür bekam

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