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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Familie der Fünf Tugenden den Kleinen Lu schenken. Aber ich lehnte ab. Es genügte mir, daß ich schon — wie die Chinesen es nennen — «Trockener Vater» des kleinen Fräulein Lu war.
    Ich glaubte fest, die düstere Wolke, die über dem Heim der Fünf Tugenden gehangen hatte, sei nun verschwunden. Aber dem war nicht so. Eines Morgens kam Kuniang zu mir und erzählte, das kleine Fräulein Lu liege im Sterben.
    «Das kleine Fräulein Lu?» rief ich. «Das Baby? Ich wußte gar nicht, daß es krank ist.»
    «Ich auch nicht. Das ist ja der Jammer. Es ist schon seit längerer Zeit krank, und niemand hat mir davon erzählt.»
    «Und warum nicht?»
    «Erstens, weil Neujahr war, und zweitens wegen des Geburtstages der Alten Gebieterin.»
    Diese Erklärung ist für Leute, die niemals in China gewesen sind, nur schwer verständlich; mir aber leuchtete sie sofort ein. Als das kleine Fräulein Lu erkrankte, waren wir mitten im chinesischen Neujahrsfest (dessen Beginn, der erste Tag des ersten Mondes, in diesem Jahr auf den dritten Februar fiel). Zu diesem Zeitpunkt krank zu werden, das widerspricht allen guten Sitten. Niemand hatte auch nur eine Sekunde Zeit, sich um den kranken Säugling zu kümmern. Selbst nach Neujahr wäre das Kind noch zu retten gewesen, aber unglücklicherweise kam nun der Geburtstag der Alten Gebieterin. Wenn man einmal die Sechzig erreicht hat, wird jeder neue Geburtstag ein immer größerer Triumph. Die Alte Gebieterin ist weit über siebzig, und es schien, als wollten die feierlichen Glückwünsche und Besuche kein Ende nehmen. Inzwischen wurde das kleine Fräulein Lu sterbenskrank.
    Kuniang erbot sich, gemeinsam mit Unvergleichlicher Tugend und der Mutter des Kleinen Lu den Säugling ins deutsche Spital zu bringen, und sie machten sich auch auf den Weg. Ich gab ihnen bis zur Tür das Geleit. Ein Blick auf das kleine Fräulein Lu zeigte mir, daß es zu spät war.
    Nach einer knappen Stunde erschien Kuniang im Arbeitszimmer. Ich blickte fragend auf, aber sie schüttelte stumm den Kopf, setzte sich auf das Sofa und vergrub das Gesicht in den Kissen. Onkel Podger war mit ihr hereingekommen. Als er sah, daß sie weinte, legte er die Pfoten auf ihre Knie und begann zu heulen.
    Ich spürte einen Klumpen in der Kehle und meine Augen wurden feucht. Und doch war nur ein einziger, winziger Säugling gestorben von den vielen Millionen Menschen Chinas.

Donald und die Seidenstoffe
     
     

1
     
    Kluge Leute, die die Frauen kennen, haben mir gesagt, man dürfe nie von der ersten Liebe eines Mädchens sprechen. So etwas gebe es nicht. Es gäbe immer noch einen Vorgänger, dem sie ihr Herz geschenkt habe, vielleicht ohne es selbst zu wissen und nur für ein paar Sekunden, als krähender Säugling in der Wiege. Trotzdem glaube ich sagen zu dürfen, daß Kuniangs erste Liebe Donald Parramoor war. Diese Liebe dauerte etwa sechs Wochen. Die Sache kam dadurch auf, daß Kuniang eine Zeitlang mit fast jeder Post Ansichtskarten aus jener ordinär-sentimentalen Serie erhielt, die verliebte Soldaten oder Matrosen in den Ländern des Westens ihrem Schatz schicken. In Peking bekommt man sie in der Hata-Mên-Straße; sie kosten eine Menge Geld, dreißig und sogar vierzig Cent pro Stück, weil sie aus dem Ausland importiert werden müssen.
    Da die Post des Hauses von mir verteilt wird, mußte ich alle Sendungen bemerken, die Kuniang bekam. Einmal trafen drei Karten zugleich ein. Es dürfte genügen—mehr als genügen—, wenn ich eine davon beschreibe. Es war eine farbige Photographie, die das Bild einer reifen, aber noch immer stattlichen Matrone in enganliegendem Badekostüm zeigte. Die Dame hielt den Kopf leicht geneigt und lächelte geziert einen Jüngling an, der — gleichfalls im Schwimmanzug —, sich über sie neigte, als wolle er sie küssen, wagte es aber nicht recht. In der Hand hielt sie einen offenen Sonnenschirm, um den Kopf hatte sie ein rotes Tuch gewunden. Der Hintergrund, den der Photograph sichtlich später dazukopiert hatte, stellte ein ruhiges Meer dar, mit Felsen am Ufer und einem Mond, der sich im Wasser spiegelte. Keine der Karten trug eine Unterschrift, aber auf einer stand: «Ewig dein», auf einer anderen: «Zur Erinnerung an die erste Liebe.»
    Ich übergab das Ganze Kuniang und erkundigte mich, wer der Absender dieser Greuel sei. Sie nahm die Karten in die Hand und besah sie halb beschämt, halb amüsiert.
    «Die sind von Donald», sagte sie. «So ein Esel. Hast du je etwas Scheußlicheres

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