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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Du?»
    «Allerdings. Du hast kein Heim als dieses Haus. Trotzdem hat niemand außer den Fünf Tugenden auch nur einen Gedanken an dein Essen und deine Kleidung verschwendet. Gestern habe ich dich zum erstenmal gebeten, mit mir zu essen. Ich schäme mich, wenn ich an die schäbigen, einsamen Mahlzeiten denke, die du jahrelang, weiß Gott, wo, in der Küche, in deinem Zimmer, verzehren mußtest, ich wußte nicht einmal, daß du auf Kosten deines Vaters den Pavillon teilweise neu eingerichtet hast — so wenig habe ich mich um dich gekümmert. Ich merkte, daß dir deine Kleider zu eng wurden, und tat nichts dagegen. Ich wunderte mich bloß, daß du nicht besser angezogen warst.»
    Kuniang unterbrach mich.
    «Das war ausschließlich meine Schuld. Papa hat mir das Geld für neue Kleider gegeben.»
    «Ich weiß. Aber du hattest niemand, der dich beraten hätte, wie man das Geld am besten verwendet. Du mußtest mit allem allein fertig werden. Ein Wunder, daß du nicht mehr Dummheiten gemacht hast. Aber jetzt wirst du eine richtige Stellung in meinem Haushalt bekommen. Paß nur auf, wie das dein Ansehen bei den Russen heben wird. Als meine Sekretärin hast du ein Recht darauf, von Matuschka und den andern anständig behandelt zu werden. Wenn du meinen Vorschlag annimmst, mußt du zuallererst Matuschka einen Brief schreiben, ihr von deiner neuen Position im Heim der Fünf Tugenden berichten und dich entschuldigen, daß du heute nicht wie sonst hinüberkommen kannst. Da haben sie dann Gesprächsstoff, bis du sie besuchst.»
    Kuniang versank einige Augenblicke in Gedanken, dann fragte sie:
    «Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mit Elisalex zusammenkomme?»
    «Du kannst zusammenkommen, mit wem du willst. Lade sie dir alle zum Tee ein, wenn as dir Freude macht und so oft es dir Freude macht. Und besuche sie, sobald du Lust hast. Ich will nichts, als daß du einen Teil der Zeit, die du bei ihnen verbracht hast, mir widmest.»
    Kuniang schien erleichtert und erfreut.
    «Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll», sagte sie. «Aber ich bin nicht undankbar.»
    «Das wäre also erledigt. Jetzt muß ich dir noch etwas sagen.»
    «Und zwar?»
    «Es ist eine logische Folge des Vorschlages, den du eben angenommen hast. Als meine Sekretärin kannst du unmöglich so herumlaufen. Du brauchst unbedingt neue Kleider. Ich könnte auch hinzufügen: neue Wäsche. Da du das Geld deines Vaters zur Verschönerung meines Hauses verwendet hast, ist es nur recht und billig, daß ich zur Ergänzung deiner Garderobe beitrage. Wir können noch heute in die Morrison Street oder ins Gesandtschaftsviertel gehen und sehn, was sich machen läßt. Meines Wissens gibt es ein neues japanisches Geschäft, in dem man entzückende Wäsche bekommt.»
    Kuniang war im Nu in der Höhe, machte vor Freude einen Luftsprung und warf die Arme um meinen Hals.
    «Du bist ein Schatz», erklärte sie respektlos. «Ich sterbe vor Sehnsucht nach neuen Hemdhöschen.»
     
    Eine Stunde später — wir hatten Matuschka durch den Tingchai eine Verständigung zukommen lassen — traten Kuniang und ich unsere erste Einkaufsexpedition an. Wir kamen an jenem Tage nicht weiter als zum japanischen Bazar, wo Kuniang Strümpfe und etwas Wäsche erstand; die übrigen Garnituren nach Maß wurden aus Japan bestellt.
    Ich ließ Kuniang nicht sofort auf die Stadt los, um Kleider zu kaufen. Denn ich hatte Angst, die Pekinger Schneider könnten beim Anblick der Striemen auf ihrer Haut glauben, ich sei schuld daran. Aber nach einigen Tagen gab ich Kuniang frei und ging nur mit, um zuzusehen, was sie tun würde. Ich habe stets die Meinung verfochten, daß bei Frauen die meisten Probleme zu einer Kleiderfrage zu vereinfachen sind. Bestimmt würden die Russen Kuniang wesentlich anders behandeln, wenn sie gut angezogen wäre. Und Kuniang selbst erkannte ganz genau, wieviel moralische Unterstützung ein paar Meter Seidenfetzen am richtigen Ort für ein weibliches Wesen bedeuten.
    Noch selten hat mir etwas so viel Freude gemacht wie diese Expedition zur Beschaffung weiblichen Rüstzeugs, obgleich mich Kuniang mehrmals in Verlegenheit brachte, weil sie darauf bestand, ich müsse bei den zahlreichen Anproben dabei sein. Meine Liebe zu Seide und Samt wirkte sich weit besser in der Wahl von Kleidern für Kuniang aus als in Erwerbung alter Hofgewänder und Stickereien oder Draperien aus kaiserlichen Gräbern. Nur einmal machte ich Einwendungen: als sie den Ankauf eines Pariser Modells erwog, einer

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