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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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wird.
    Vielfach sind die Mittel, zu denen ich greife, um zu verheimlichen, wer mir den Gegenstand verkauft hat, den ich nun heimbringe. Ich muß mich zu Fuß zum Laden begeben und zu Fuß heimkehren, damit nicht ein Rikschakuli meinen Weg verrät. Die Zahlung muß in barem Geld erfolgen oder darf zumindest nicht in meinem Scheckbuch auf einer Kopie erscheinen, weil die Boys dieses möglicherweise in die Hand bekommen können. Die Atmosphäre des Geheimnisvollen verleiht meinen Einkäufen erhöhten Reiz. Neben der Freude über den neuerworbenen Besitz genieße ich das Vergnügen, ihn sub rosa erstanden zu haben. So bekommt ein alltäglicher Handel eine romantische Aureole, als wäre er ein Ehebruch.
    In einem Fall allerdings lüftete der Kleine Li selbst das Geheimnis und verriet den Fünf Tugenden, daß ich bei ihm einen Mandarinmantel gekauft hatte. So heißen bei den Ausländern in China die Galagewänder der alten chinesischen Beamten, desgleichen die Gewänder, die zu feierlichen Anlässen bei Hof getragen wurden. Ich besitze viele solcher Gewänder, aber das, von dem ich jetzt spreche, blendet durch eine Pracht, die nicht ihres gleichen findet. Es besteht aus gelbem Atlas und ist mit den zwölf Symbolen bestickt, die — alle zusammen — nur der Sohn des Himmels tragen durfte. Auf der Brust hat es den üblichen, in goldener Reliefstickerei gearbeiteten, geschuppten Drachen, der seine silberne Kralle nach einem flammenden Edelstem ausstreckt — dem Sinnbild der Allmacht. Der Saum ist mit Meereswogen verziert, die sich an einem dreigipfeligen Berg brechen. Auf der rechten Schulter sieht man den dreibeinigen Hahn, der die Sonne ankräht (eine Art asiatischer Chantecler). Auf der linken Schulter den weißen Hasen, der im Mond lebt und in einem Mörser das Unsterblichkeit verleihende Lebenselixier zerstampft; und dazwischen, unter ziehenden Wolken und farbigen Fledermäusen verstreut, die anderen Sinnbilder der Herrschaft.
    Ich entdeckte diesen Mantel durch Zufall, während einer Abwesenheit des Kleinen Li, als niemand im Geschäft war, der mich hätte bedienen können; bloß die jungen Gehilfen, wohl seine Söhne und Neffen, waren da. Ich hatte nichts Interessantes gefunden und wollte eben gehen, als im Dunkel einer halboffenen Truhe etwas aufschimmerte: ein Büschel Goldfäden, die das einfallende Licht auffingen. Ich streckte die Hand aus und holte ein Paket hervor, das sich infolge des eigenen Gewichts öffnete. Zwischen den Falten zeigte sich ein Eckchen Stickerei von einer derartigen Leuchtkraft, daß sie fast lebendig schien. Ich trug das Stück ins Freie und breitete es ‘auf einem Tisch aus; der Hof leuchtete förmlich von soviel Glanz. Die jungen Gehilfen sahen mir angstvoll zu.
    «Was kostet das?» fragte ich.
    Einer der Jungen besah den Ärmel, an dem ein kleiner Leinenfleck mit Tuschezahlen hing. Er entzifferte die Schrift und beriet sich dann mit seinen Kollegen. Nachdem sie eine Weile in einer Sprache debattiert hatten, die nur sie verstanden, teilten sie mir mit, der Preis betrage einhundertfünfzig Dollar.
    Ich staunte. Für solch ein Kunstwerk war es ein durchaus bescheidener Preis. Zwischen dem Gewand, das ich hier sah, und den Mandarinmänteln, die man sonst den Ausländern verkauft und die zuweilen von Damen zu Abendmänteln umgearbeitet werden, lag eine Welt. Man mußte bloß die goldenen Lichter auf den Wellen beim Saum sehen und die vollendete Harmonie der überwältigenden Farben, um zu erkennen, daß dies tatsächlich ein Museumsstück war.
    Ich gab zu verstehen, daß ich den Mantel kaufen wolle, und hieß sie ihn einpacken, damit ich ihn mitnehmen könne. Aber die Gehilfen wagten nicht, den Handel ohne die Zustimmung ihres Herrn abzuschließen. Ich beruhigte sie: sollte der Preis nicht stimmen, dürften sie es mich ohne weiteres wissen lassen, und wir würden nochmals darüber sprechen. Dann bezahlte ich die hundertfünfzig Dollar und verließ mit dem Paket unterm Arm den Laden.
    Zwei Stunden später erschien der Kleine Li in meinem Haus und verlangte mich dringend zu sprechen. Anscheinend hatte er vergessen, daß es ratsamer gewesen wäre, unsere Geschäftsverbindung geheim zu halten. Unvergleichliche Tugend — ein leicht amüsiertes Lächeln auf dem sonst so gleichmütigen Gesicht — führte ihn ins Arbeitszimmer. Der Kleine Li fragte augenblicklich nach dem Mantel.
    «Er ist dort drin», sagte ich und wies auf eine große Truhe aus Kampferholz. «Kostet er mehr, als ich bezahlt

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