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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Es war mir unmöglich, sogleich zu einem Entschluß zu kommen: die Sache mußte bedacht werden. La nuit porte conseil. Endlich sagte ich: «Bitte komm morgen zu mir ins Arbeitszimmer, ehe du zu den Russen gehst.»
    Kuniang sah überrascht drein, darum setzte ich hinzu: «Ich brauche deine Hilfe.»
    «Du brauchst meine Hilfe? Erst vor ein paar Minuten hast du gefragt, ob ich dir nicht meinen halben Kristall bringen will!»
    «Jetzt ist es eben umgekehrt.»
    Kuniang blickte mißtrauisch drein, aber ich lächelte bloß. Schließlich erklärte sie, sie werde alles tun, was ich von ihr wolle.
    Einige Augenblicke später stand ich auf, um in mein Zimmer zu gehen. Kuniang begleitete mich zur Tür des Pavillons; dort sagte sie mir gute Nacht. Beim Hinausgehen blieb ich eine Sekunde stehen und küßte sie leicht auf die Wange. In meinem Kuß lag ein Hauch von Traurigkeit, ein Hauch von Abschied. Ich sagte der kleinen Kuniang Lebewohl, die mir als Kind lieb geworden war.
    Ich lief die Stufen hinunter ins Freie. Das schräge Dach des Pavillons ragte dunkel in den eisigen, sternenglitzernden Himmel. Hoch über den Dächern rauschten die Wipfel der Pinien, als erzählten sie einander Geheimnisse von den Vorgängen da drunten. Ich blickte mich um. Kuniang stand neben der halboffenen Tür: die schlanke Gestalt im japanischen Kimono hob sich vom schwach beleuchteten Zimmer ab wie ein Szenenbild aus «Madame Butterfly».
    Von drinnen kam das beruhigende Bellen Onkel Podgers. Er wußte, was er seiner Verantwortung schuldig war.
     
     
     

3
     
    Als Kuniang, gefolgt von Onkel Podger, am nächsten Morgen knapp vor zehn bei mir im Arbeitszimmer erschien, erklärte ich ernst und würdevoll:
    «Ich mache dich aufmerksam, daß dies eine Konferenz ist. Bitte, nimm Platz.»
    «Darf ich mich nicht auf den Boden setzen?»
    «Wie kann ich mit einem Menschen, der auf dem Boden sitzt, etwas Geschäftliches besprechen? Aber bitte — wie du willst.»
    Kuniang ließ sich befriedigt zu meinen Füßen auf dem Teppich nieder, und Onkel Podger kuschelte sich in den schönsten Fauteuil.
    «Und nun», erklärte Kuniang, «was kann ich für dich tun?»
    Ich räusperte mich und versuchte, bedeutend auszusehen. Ich wollte Kuniang das Gefühl beibringen, sie nehme an einer Direktionssitzung teil, die der schlafende Onkel Podger leite, darum begann ich:
    «Ich brauche dringend eine Sekretärin, die maschineschreiben kann, und vor allem mehr als eine Sprache, so wie du. Du hast auf meiner alten Maschine zur Genüge geübt, du mußt also nur mehr lernen, meine Papiere in Ordnung zu halten und die gebräuchlichen Formen und Äußerlichkeiten der Geschäftskorrespondenz richtig anzuwenden. Darum wäre es mir lieb, wenn du die Sache machen wolltest. Die ersten drei Monate zahle ich dir gar nichts. Später bekommst du hundert Dollar pro Monat und wirst nach einem Jahr gesteigert, wenn ich mit dir zufrieden bin. Allerdings könntest du dann nicht mehr so viel Zeit bei den Russen verbringen, auch wäre Matuschka in keiner Weise mehr verantwortlich für dich. Das alles werde ich mit deinem Vater ordnen. Aber selbstverständlich darfst du sie, wann immer es dir paßt, besuchen. Und auch zu dir einladen.»
    Kuniang sah mich vom Boden her mit gespannter Aufmerksamkeit an.
    «Soviel ich weiß», erklärte sie schließlich, «hast du für eine Stenotypistin nicht die mindeste Verwendung — zumindest nicht für eine so jämmerliche, wie ich es bin.»
    «Wenn du wirklich so jämmerlich arbeitest, werde ich dir eben nichts zahlen — das ist alles.»
    Aber Kuniang ließ sich nicht überzeugen.
    «Warum tust du das?» fragte sie und sah mir in die Augen.
    Ich starrte zu ihr hinunter, ohne recht zu wissen, was ich antworten sollte. Dann fragte ich meinerseits:
    «Und warum, glaubst du, tue ich es?»
    Die Antwort überraschte mich.
    «Wahrscheinlich, weil du ein so guter Kerl bist — immer und unter allen Umständen. Ich habe niemanden, an den ich mich wenden kann. Papa ist arm, also läßt du mich hier wohnen. Und nun...»
    Sie blickte noch immer zu mir auf und versuchte zu lächeln, aber plötzlich schwammen ihre Augen in Tränen, und sie senkte den Kopf auf die Arme, um das Gesicht zu verbergen.
    Ich strich ihr sanft über das Haar und erwiderte:
    «Du hast völlig unrecht. Ich tue es einzig und allein aus bösem Gewissen, weil ich draufgekommen bin, wie schlecht ich dich behandelt habe.»
    Kuniang hob das tränennasse Gesicht und wiederholte :
    «Schlecht behandelt?

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