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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Balltoilette aus schwarzem Velourchiffon mit Silberlamé — gerade das richtige für eine Dame über vierzig.
    Was die Verkäufer von uns dachten, weiß ich nicht. Aber bestimmt freuten sie sich über unsere Besorgungen.
    Außer Kleidern benötigte Kuniang auch Reithosen, und so suchten wir Ah-ting-fus neuen Laden in der Hata Mên auf. Ich wollte mit Onkel Podger draußen warten, aber kaum hatte Kuniang das Geschäft betreten, als sie schon wieder in der Tür erschien und mir winkte.
    «Das mußt du dir ansehen», erklärte sie. «Es ist fast so schön wie die himmlischen Hosen.»
    Ich wunderte mich, folgte ihr aber und trat ein. Eine wackelige Holztreppe führte in das erste Geschoß, und an der Wand über den Stufen hing folgende Aufschrift:
     
    Damentoiletten im Stock
     
    Kuniang lachte entzückt.
    «Eigentlich dürftest du mich da nicht begleiten», sagte sie. «Aber ausnahmsweise...»
    Und so begleitete ich sie.
     

 

Der Mandarinmantel
     
    Gerechtigkeitshalber muß ich hier einfügen, daß Kuniang eine wirklich tüchtige Sekretärin wurde; daß sie lernte, beim Abtippen meiner Manuskripte nach jedem Beistrich einen Zwischenraum, nach jedem Punkt zwei einzuschalten; neue Absätze durch Einrücken zu kennzeichnen und in den Briefen, die ich diktierte, die fehlenden Teile (Adresse, Datum und entsprechend abgestufte Anrede und Grußformeln) richtig einzusetzen. Ich wiederum lernte von ihr nicht weniger als sie von mir — vielleicht sogar mehr. Und es hatte gar nichts mit dem amerikanischen Ablegesystem zu tun. Gemeinsam durchwanderten wir goldene Reiche. Ein Gleichnis, ein Zitat, eine Anspielung veranlaßte sie zu fragen, und dann begaben wir uns zum Bücherkasten und suchten die Quellen.
    Ich kam mir vor wie ein begeisterter Einheimischer, der einem nicht minder begeisterten Fremden die schöne Gegend zeigt, wobei sich Ausblicke eröffnen, wie ich Bücher öffnete. Einen jungen Menschen durch eine Bibliothek leiten, heißt die Schwingen des Geistes zu stählen, und der Lehrer lernt im Lehren.
    Viele meiner chinesischen Erzählungen danke ich ausschließlich Kuniang, denn ohne ihre Hilfe hätte ich sie nie geschrieben. Sie war es, die chinesische Legenden aus dem Alltag gleichgültiger Ereignisse schälte.
    Sie war es, die mich von den verstaubten Annalen längst vergessener Dynastien fortlockte und mich lehrte, die Welt innerhalb meiner eigenen Höfe und die Welt, die außerhalb der Mauern des Shu-ang Lié Ssè liegt, zu studieren und zu beschreiben. Sie brachte mir Bruchstücke von Volksmärchen und gab mir neue Anregungen in Form bezaubernder chinesischer Namen. Welcher Schriftsteller, der diese Bezeichnung verdient, könnte der Versuchung widerstehen, Geschichten zu erfinden um Namen wie «Der Tempel der köstlichen Lebenserfahrung», «Der Berg des siebenfachen Glanzes», «Das Gasthaus zum ewigen Mißgeschick?»
    Kuniang war es, die die Legende von dem kaiserlichen Gewand entdeckte, das ich in der Chinesenstadt gekauft hatte. Was niemand mir erzählen wollte, erzählte jemand (vielleicht der Kleine Lu) ihr. Hier ist die Geschichte, genau so, wie Kuniang sie mir getippt hat. Sie heißt:
     
    Der Mandarinmantel
     
    In der Chinesenstadt gibt es ein Gäßchen, das mich stets aufs neue anzieht. Es ist nur ein schmaler, unauffälliger Durchlaß, aber dort kann man die ganze Pracht des Ostens kaufen, in einem Eckchen Samt, in einer gestickten Blume. Es heißt «Die Straße der Seiden». Zweitausendsechshundert Jahre vor unserer Zeit hegte die Herrin von Si-ling, die Gemahlin des Kaisers Huang-ti, mit eigenen Händen die Maulbeerblätter fressende Motte, hielt sie warm und hütete sie vor jedem rauhen Hauch. Sie war es, die den Webstuhl erfand. Und in ihrem Reich erreichte die Kunst der Stickerei die Vollendung, in einer Zeit, die für uns als prähistorisch gilt.
    Fünfzig verschiedene Muster für Brokate und Stickereien gab es zur Zeit der Suang-Dynastie: das taoistische Paradies mit seinen Geistern; das Drachen- und Phönixmuster (Sinnbilder des Kaisers und der Kaiserin) ; das Muster der Pfauen, Fasane, Störche und Fledermäuse; der Lotosblumen und Kirschblüten; der Päonien und Rosen; der Schildkröten und Schlangen; das Muster der Wolken und buddhistischen Symbole; der Wassergräser und spielenden Fische; der wilden Gänse, die mit den Wolken ziehn.
    Selbst ich erinnere mich noch der Zeit, da man dem Gott der Seidenwürmer Opfer darbrachte, in einem Tempel innerhalb der Kaiserlichen Stadt. Diese Opfer

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