Der Schneider himmlischer Hosen
noch zu befehlen weiß. Poincaré und Clémenceau sind weit eher Autokraten als er. Und die Zarin ist eine abergläubische, hysterische Intrigantin mit einem kranken Sohn. Solange Grigori Efimowitsch lebte, elektrisierte er die beiden mit einer Art mystischer Energie. Nun ist er tot, und Sie werden sehen, daß das Reich auseinanderfällt wie ein Pack Karten!»
«Ich weiß noch immer nicht», sagte ich, «ob Sie eine Anhängerin Rasputins sind oder das Gegenteil. Jedenfalls sind Sie der erste Mensch, der ein gutes Haar an ihm läßt.»
«Grischka hat mich ruiniert und dabei auch sich beinahe ins Unglück gestürzt. Aber er konnte mir nie etwas weismachen. Er faszinierte mich, und ich gehörte zu seinem engsten Kreis. Viele Frauen haben sich Grischka hingegeben, nur weil er behauptete, ein Teil des Höchsten Wesens hätte sich in ihm verkörpert und in der Vereinigung mit ihm liege das Heil. Das machte mir nicht den geringsten Eindruck; in mancher Hinsicht fühlte ich mich sogar eher abgestoßen als angezogen. Zudem hatte er einen unangenehmen Geruch, an den ich mich nicht gewöhnen konnte. Dennoch kam ich nicht los. Eine ansteckende Tollheit ging von ihm aus, die in mir ihr Widerspiel fand. Seine Augen glühten in einem Feuer, das manche für religiöse Inbrunst hielten. Es waren blaue Augen, von einem geradezu unwahrscheinlichen Blau, vom Blau der Kornblumen in einem Getreidefeld. Und er besaß ungewöhnliche Körperkraft. Er behandelte mich brutal, roh und schamlos. Doch seine Brutalität reizte mich. Noch jedesmal, wenn er mich verließ, war ich in einem jämmerlichen Zustand, zerrauft und beschämt. Aber noch jedesmal kam ich wieder, weil ich davon nicht genug bekommen konnte.
Ich lernte ihn zu einer Zeit kennen, da ich einsam und unglücklich war. Eben hatte der Mann, den ich liebte, Petersburg verlassen. Grischka konnte mich nicht trösten, aber er bot mir Zerstreuung. Er war wie ein religiöser Faun. Ich eine heidnische Nymphe. Und — les extrêmes se touchent.»
«Sie müssen wunderbar miteinander ausgekommen sein.»
Elisalex lächelte. «Ich bin doch wirklich sehr aufrichtig zu Ihnen», sagte sie. «Soll ich fortsetzen?»
«Unbedingt. Ihre Erzählung klingt wie ein Kapitel aus einer unzensurierten Ausgabe von .»
«Ich kenne nicht, obgleich ich Nijinskij in gesehen habe. Aber das Sonderbare an meiner Geschichte ist, daß sie sich wirklich zugetragen hat. Vielleicht taucht sie eines schönen Tages sogar in einem Geschichtsbuch auf. Dann wird man mich bestimmt als Buhldirne hinstellen, als Verlorene im vollen Sinn des Wortes. Und außerdem wird es heißen, die Vergebung der obersten Armeekommandos, der höchsten Regierungsstellen, selbst kirchlicher Ämter sei von Grischka und seinen Freunden in meinem Haus beraten und beschlossen worden. Darauf hätte man die Ernennung bei der Zarin angeregt, die sie ihrerseits durchsetzte.
Solange ich an Grischkas Seite stand, sorgte ich dafür, daß er keine Torheiten beging. Er war ein ungebildeter Bauer ohne jeden Sinn für Politik; ein Werkzeug in den Händen anderer. Ich hatte gute Ratgeber und gab ihm ihre Weisungen weiter. Um meinen Einfluß nicht zu verlieren, mußte ich mich seinen Exzessen fügen. Ich tat Dinge, die jedes Maß überschreiten. Aber nicht vergebens. Dank seinem Einfluß auf die Zarin war Grischka die Macht hinter dem Thron, und hinter Grischka stand ich, nackt und schamlos.
Seine Feinde taten ihr möglichstes, um ihn zugrunde zu richten. Aber es gelang ihnen nur, mich zugrunde zu richten. Ich wurde der Sündenbock. Grischka verblieb an der Seite der Zarin und hatte keinen Ratgeber mehr, außer engstirnigen Elementen. Auf seinen Vorschlag hin übernahm der Zar das Oberkommando, setzte den Großfürsten Nikolaj ab und begab sich an die Front. Und das war der Anfang vom Ende.»
2
Robert Louis Stevenson kommt in seinem Essay «Porträt von Raeburn» zu dem Ergebnis, daß Raeburn wohl Männer und alte Frauen porträtieren konnte, nicht aber «junge Damen». Vielleicht konnte er ihnen nicht in die Augen sehen, ohne unruhig zu werden.
Ähnlich erging es mir mit Elisalex, und deshalb glaube ich kaum, ihr durch eine Beschreibung, ja auch nur durch eine Wiedergabe dessen, was sie mir erzählte, gerecht werden zu können. Elisalex hatte etwas ungemein Beunruhigendes an sich. Wahrscheinlich wirken die meisten Frauen so, wenn sie nicht nur körperliche Reize besitzen, sondern
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