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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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etwas von der geheimnisvollen Liebe Jauffroi Rudes zu seiner «Princesse Lointaine».
    Plötzliches lautes Schreien auf der gegenüberliegenden Seite der Victoria Road unterbrach uns. Ein Rikschakuli und ein französischer Unteroffizier waren aneinandergeraten, und zwar derart, daß beinah der ganze Verkehr Stillstand. Der Streit dauerte etwa fünf Minuten. Endlich gelang es zwei beturbanten Sikhs der städtischen Polizei, den Frieden wiederherzustellen. Als alles erledigt war, schob mir Paul den Elfenbeinkäfig herüber, mitten zwischen Teller und Schüsseln.
    «Ich hoffe, Sie werden dieses kleine Andenken annehmen», sagte er, «zur Erinnerung an einen Menschen, dem Sie Gutes getan haben. Sie können es neben das Schild mit den himmlischen Hosen hängen.»
    Ich wehrte ab: das Geschenk sei zu kostbar; aber er meinte, ich solle es lieber gleich behalten, schon um ihm die Mühe zu ersparen, mich in sein Testament aufzunehmen.
     
     
     

Heimkehr
     
    Zwischen Tientsin und Peking bin ich so oft hin und her gefahren, daß ich sogar die wilden Hunde (Wonks genannt) erkenne, die sich in den Stationen herumtreiben, weil sie hoffen, etwas Eßbares zu finden, das aus den Waggonfenstern herausgeworfen wurde. Wie gewöhnlich im September hatte der Pai-ho seine Ufer überflutet, und die sogenannte Autostraße, die Tientsin mit Peking verbindet, stand teilweise unter Wasser. Zu Beginn der Fahrt konnte man die nicht überflutete Strecke vom Zug aus sehen. Aber die Regenzeit war vorüber, Und es herrschte klares, sonniges Wetter, das die ganze herbstliche Farbenglut der Baumgruppen und Maiskolben, die auf den Dächern einsamer Bauernhäuser oder kleiner Dörfer trockneten, zu voller Geltung brachte.
    Noch nie hatte ich die Ankunft in Peking so wenig erwarten können. Und meine Ungeduld wurde geteilt von jemandem, der meinen Zug vor dem Chien Mên erwartete oder vielmehr nicht erwarten wollte: denn als die Westberge sichtbar wurden und der Zug bei der Kreuzung von Feng-tai hielt (eine halbe Stunde vor der Hauptstadt), lief eine strahlende junge Gestalt in braunem Sweater und Breeches über den Bahnsteig und stürzte in mein Abteil, mit so viel lärmender Liebe, daß das ältliche chinesische Ehepaar auf den Ecksitzen am Gang sich nicht wenig entrüstete. Vor der Einfahrt in die Stadt beschreibt die Bahn einen großen Bogen, und Kuniang war durch das Südtor hinausgeritten. Nach dem Sommeraufenthalt am Meer sah sie braungebrannt und gesund aus, und ihre Augen leuchteten vor Glück. Sie fuhr mit mir im Zug heim und überließ es dem Ma-fu, die Pferde nach Peking zurückzubringen.
    Wie herrlich ist es, heimzukehren, wenn man von einem geliebten Wesen empfangen wird! Zu Hause begrüßten mich die lächelnden Gesichter der Fünf Tugenden (unterstützt von der Alten Gebieterin, dem Kleinen Lu und dessen Mutter), dazu heftiges Knattern wie von einem Maschinengewehr — Knallbonbons zum Verjagen der bösen Geister, die mich möglicherweise begleiteten. Selbst Onkel Podger zeigte liebenswürdige Befriedigung über das Wiedersehen. Nichts von all dem hätte mir gefehlt, denn Kuniang war ja da. Aber es erhöhte meine Freude und gab mir das Gefühl, der alte Tempel sei wirklich mein Heim.
    Die chinesischen Häuser mit ihren sonnenbeschienenen Höfen und roten Lacksäulen, von denen das schräge Dach gestützt wird, wirken ungemein anheimelnd. Aber auch für Kuniang bedeutete meine Ankunft eine Heimkehr. Sie war zu mir geflüchtet wie ein Vogel zu seinem Nest, ihr Heim lag in meinen schützenden Armen. Welche Seligkeit, zu denken, daß sie mein war: wirklich und wahrhaftig. Keine Traum-Kuniang, wie sie der Abt Paul schenken wollte. Ich verstand nicht, daß ich je hatte zögern können, sie zu erobern. Sie war so glücklich im sicheren Schutz meiner Liebe. Diese Sicherheit und das Wissen um die eigene Schönheit machten sie sanfter, weiblicher als die frühere, tapfere Kuniang, die den Kampf mit einer bösen Welt aufnehmen mußte. Ich fragte sie, und sie fragte mich, die dumme alte Frage, die noch jeder Liebende gestellt hat: «Liebst du mich? Liebst du mich wirklich?» Und beide antworteten wir wie alle Liebenden — ohne Worte. Aber als Kuniang von dem Glück sprach, das sie mir danke, sagte sie es mit dem alten französischen Wort: «C’est moi qui te doit tout, puisque c’est moi qui t’aime.»
    An jenem Abend saßen wir dicht nebeneinander auf dem Sofa und schmiedeten Pläne, Pläne für ein ganzes Leben. Sie begannen damit, daß wir

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