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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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dieselbe Wichtigkeit oder Unwichtigkeit wie alles andere, und das war nicht sehr viel. Die Krankheit selbst schien ihn nur wenig zu kümmern. Meine Frage nach seinem Befinden beantwortete er sehr beiläufig, als spräche er von einem Dritten oder vielleicht von jenem anderen Paul Dysart, der vor Monaten mit Jeremiah Mettry nach Peking gekommen war, sich in Kuniang verliebt und eine Zeitlang Gegenliebe gefunden hatte. Das alles konnte beinahe in einem anderen Leben gewesen sein.
    Da ihn nichts mehr interessierte als der Traum, sprach ich davon:
    «Können Sie mir etwas Neues vom Elfenbeinkäfig erzählen?»
    «Etwas, aber nicht alles. Denn der Elfenbeinkäfig ist mein Leben, und wer erinnert sich an alle Einzelheiten seines Lebens?»
    «Kommt Kuniang in Ihren Träumen schon vor?» fragte ich. «Sie haben sie nicht erwähnt, als Sie mir von Ihrer Kindheit am Rande der Wüste erzählten.»
    «Sie ist auch Jahre nachher noch nicht vorgekommen. Ich verbrachte meine ganze Jugend auf Wanderungen, kreuz und quer durch Asien; allerdings kann ich Ihnen nicht genau sagen, wohin ich zog. Die Namen der Städte, sogar die Namen, die ich noch weiß, haben nicht den mindesten Zusammenhang mit Worten, die ich je im Wachen hörte oder las.»
    «Mongolische oder chinesische Namen klingen ganz anders als die Bezeichnungen, die wir gebrauchen. Sie sind oftmals nicht wiederzuerkennen, wie zum Beispiel für Tokio — «Hauptstadt des Ostens».»
    «Die Namen haben alle eine Bedeutung. Die Orte selbst erinnern mich — wenn ich wach bin — an die Bilder einer Laterna magica. Ich könnte einige davon beschreiben, aber ich weiß nicht mehr, was alles ich Ihnen erzählt habe, als wir uns zuletzt sahen.»
    «Sie schilderten mir das Leben in der Steppe und die reine Luft des kalten Morgens.»
    «Richtig. An den seltenen Tagen, da kein Wind den Staub aufwirbelt, ist die Luft klar wie Kristall. In einer dünnen Linie steigt der Rauch der Jurten senkrecht zum Himmel empor; wenn es dämmert, fliegen die Wildgänse vorbei, und das Sonnenlicht betupft ihre weißen Schwingen mit Rot.»
    «Sie sind doch gereist. Wie sahen die Orte aus, in die Sie kamen?»
    «Ganz verschieden, denn einmal war ich im Herzen des Himalaja, dann wieder hoch oben im Norden. Ich erinnere mich an ein großes Tal, so tief eingeschnitten, daß die Sonne niemals bis auf den Grund dringt, zum Fluß hinunter, der seine Schluchten durchströmt; an Wüsten, deren Sand über die Ruinen lang verfallener Städte wandert; an Karawanen von Kamelen, die mit Eisblöcken beladen sind, dem Wasservorrat vieler Wochen; an goldene Fasane, die im Sonnenschein schaukeln und das Auge blenden wie Blitze; an große Flüsse, die nach Norden strömen, zwischen den Lilienfeldern des Tals. Wenige Monate später, und dieselben Flüsse sind so steinhart gefroren, daß auf dem Eis ein Heer sein Lagerfeuer anzünden könnte. Mein Zelt ist aus weißem Filz. Es ist mit Bären- und Leopardenfellen verbrämt — und mit turkestanischem Wollzeug. Den Boden bedecken silberdurchwirkte Seidenteppiche. Das Zelt besteht aus Dreiecken von der Form einer Tortenschnitte und kann auseinandergenommen und zusammengesetzt werden, wenn wir umherreisen. Meine Pferde sind zottige, halbwilde Ponys, deren Ahnen die Horden Attilas nach Europa trugen.»
    Paul sprach langsam, als müsse er in seinen Erinnerungen suchen; nach kurzer Pause fuhr er fort:
    «Mit fünfundzwanzig Jahren kam ich nach Petersburg, um dem Zaren zu huldigen. An diese Zeit erinnere ich mich deutlicher. Ich war beliebt in Rußland. Die Leute mochten mich leiden und taten ihr möglichstes, mich zum Bleiben zu veranlassen. Man gab mir ein militärisches Kommando und ein Hofamt. Und dort war es, wo ich Kuniang kennenlernte. Wiederum erlebte ich die Szene im Ankleidezimmer, als sie ihren Schmuck anlegte. Nun weiß ich, was das Alexanderkreuz ist. Kuniangs Urgroßmutter bekam es von Alexander I. Sie muß eine seiner Geliebten gewesen sein, und aus den schönsten Brillanten des Kronschatzes ließ er das Kreuz machen und in einen Diamantstern einarbeiten. Kuniang mag es nicht; sie behauptet, es fühle sich auf der bloßen Haut an wie ein Stück Eis. Ein Aberglaube knüpft sich an dieses Schmuckstück. Es darf Rußland nicht verlassen. Wenn das geschieht, dann bricht der Thron der Romanows zusammen.»
    «Er ist zusammengebrochen; demnach dürfte sich das Alexanderkreuz im Ausland befinden.»
    Paul sah mich verblüfft an, dann sagte er:
    «Daran habe ich nie

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